Hermann Boehm, geb. 1941
Hermann ist Jahrgang 1941. Im Gespräch mit Olaf Morlock redet er über seine Kindheit, über Krieg – und über die unbedingte Notwendigkeit, miteinander zu verhandeln und eine Lösung zu finden. Der Vater starb an Lungenentzündung als Hermann fünf Monate alt war. Auch aufgrund des Krieges. Als Landmaschinenmeister entkam er der Front, musste dann aber mit dem Fahrrad zu den Bauern, die Motorräder waren von den Parteibonzen konfisziert worden. 12 Tage dauerte es bis zum Tod, nach einem Einsatz in Nässe und Kälte und dem daraus resultierenden Infekt.
Wie die Amerikaner kamen, daran erinnert Hermann sich heute noch genau, wie sie mit einer Kolonne von Lastwagen durch den Ort gerollt sind. Eine Truppe blieb im Ort, die Kinder waren Vermittler. Sie brachten die gewünschten frischen Eier, als Tausch gegen Kaffee oder Schokolade. Denn die Soldaten trauten sich nicht zu den Bauern raust, aus Angst vor den Deutschen „die die Amis fressen“. In den umliegenden Orten mit Fabriken und Bunkern war es schlimmer, die wurden gesprengt.
Bis zum Alter von fünf Jahren musste Hermann oft ins Krankenhaus nach München zur Behandlung. An die Mitfahrt mit in Särgen versteckten, zu schmuggelnden Sauhälften erinnert er sich noch gut. Und daran, dass sie, bereits nach Kriegsende, einmal das Haus der Familie verlassen mussten, die Amerikaner sich gewaltsam Zugang verschafften und vieles mitnahmen. Die vielen Kinder, denen Füße oder Arme fehlten, sieht er heute noch vor sich. „Es gibt nichts Schlimmeres als einen Krieg“, sagt er, und spricht auch über Dresden, Nürnberg und Hamburg. „Gerechten Krieg gibt es nicht“, sagt er. Auch für die wenigen Männer, die im Laufe der Nachkriegsjahre noch lebend zurückkamen, war das Leben zerstört. Vielen fehlten Arme oder Beine. „Auf dem Land, was bist Du als Bauer, ohne zwei Füß oder nur mit einem Arm“.
Ein Mann galt für viele Jahre als verschollen, wahrscheinlich tot. Als er zurückkam war die Frau wieder verheiratet. Über den Krieg sprachen diese Heimkehrer nicht – sie waren zu traumatisiert. Generell wurde nicht darüber gesprochen, auch nicht in der Schule. Aber wenn ein Flugzeug zu hören war, selbst nach dem Krieg noch – dann flüchteten sich die Kinder direkt ins Feld, in den nächsten Graben. Die Angst und der Mechanismus waren fest verankert. Die aktuelle Berichterstattung und die aktuellen Kriege in Ukraine, Gaza und Jemen – wie erlebt er die? In einem Wort: „Grausam“. Und weiter: „Dass es bei uns soweit kommt, durch soviel dumme Leut, das hätte ich nie gedacht.“ Und beklagt, dass wir keinen Politiker haben, der sagt, „wir müssen hier reden.“ Vor allem wir Deutsche, im Verhältnis zu Putin, wir müssten sie doch zusammenbringen zum Verhandeln: „Es geht nicht, man kann sich nicht weiter den Kopf einschlagen“.
Von den Medien und den Politikern fühlt er sich belogen. Die sollten mal wirklich hergehen und schauen, wie die ganze Sache entstanden ist, in der Ukraine. Hätten wir noch Politiker wie Brandt oder Schmidt, dann wäre es nicht so gekommen, meint er. Unser Grundgesetz sei ganz klar: wir müssen für den Frieden sein. Drei Kinder und sechs Enkelkinder – an die denkt er, wenn er sagt: Wir brauchen keinen Krieg. Ein ordentliches Leben, sparsam, wie man so denkt, dass es passt, das wünscht er ihnen.
„Wählt keine Partei die irgendwo Waffen liefert, die den Krieg haben will!“ Das ist seine Botschaft an die junge Generation. Sagt: „Nur kein Krieg, wir wissen das von unseren Eltern her, das ist das Schlimmste was es gibt.“ Und das Ungerechteste, sei es, der Krieg. Denn die, die ihn anzetteln, die sind dann nicht dabei. Die ukrainischen „jungen Kerle, die bei uns sind“ versteht er völlig. Dass sie nicht darüber gehen und sich erschießen lassen wollen. Es habe doch keinen Sinn, wenn es in der Ukraine bald nur noch alte Frauen gebe, das bringe doch keiner Seite etwas. Einen dreißigjährigen Krieg haben wir schon gehabt, einen fünfzigjährigen bräuchten wir nicht anzufangen – eine Lösung müsse her. Dass das geht, davon ist er überzeugt.
Aber hierzulande sei man zu feige. Denn dazu müsse man sich in Europa aktiv positionieren, insbesondere gegen die Amerikaner. Die Sicherheitsinteressen beider Seiten müssten dazu berücksichtigt werden, auch die von Russland. „Man muss doch den anderen verstehen“.
Und den Politikern, was sagt er denen also? „Verhandeln!“ „Man kann mit jedem verhandeln“ „Das gibt es nicht, dass Du mit keinem verhandeln kannst“. „Man setzt sich zusammen, und versucht eine Lösung zu finden“.
Deutlicher kann eine Botschaft nicht sein.