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Zeitzeugen – Inge Ammon, geb. 1931

Inge Ammon wurde 1931 in Königsberg geworden und musste 1945 als 14jährige mit ihrer Familie aus Ostpreußen fliehen. Sie erinnert sich an diese Zeit und auch an für sie einschneidende Ereignisse danach – die Apartheid in Südafrika, die Nachrüstungsdebatte in Deutschland – die sie dazu getrieben haben, sich zeitlebens zu engagieren: Gegen Feindbilder, gegen Ausgrenzung, gegen Krieg und für Menschlichkeit und für den Frieden.

Die aktuellen Geschehnisse erinnern sie sehr stark an den Sommer 1944 in Ostpreußen, als die Front immer näher rückte, die ersten Flüchtlingstrecks ankamen, und die Devise lautete: Keiner darf Ostpreußen verlassen. Die Kriegstreiberei heutzutage erinnere sie sehr stark an damals, sagt sie. Die Volksempfänger auf den Marktplätzen, aus denen es tönte: Wollt Ihr den totalen Krieg?! Das klingt noch in ihr nach. Und wie die Menschen damals riefen: Ja, Ja!

Wenn sie die heutigen Umfragen hört, was sich die Menschen wünschen, einen „Schutzschirm für Europa“, dann ist das für sie unbegreiflich. Ja versteht Ihr denn nicht, dass bei den heutigen Waffen uns da gar nichts mehr schützen kann, wenn es zum Krieg kommt, fragt sie. Unbegreiflich ist es für sie.

An viele Details erinnert sie sich, zurückgehend bis zum Jahr 1939, als der geliebte Onkel im Polenfeldzug gleich am 14. Tag fiel. Als Kind wurde sie damals dann für den Winter zu den Großeltern gegeben, um deren Traurigkeit etwas zu lindern.

Wie es ist ein Flüchtling zu sein, daran erinnert sie sich sehr gut, auf den Flüchtlingswagen unterwegs, die ständige Angst als Begleiter habend, und wie es war, nach eineinhalb Jahren Flucht im Westen anzukommen, ohne Hab und Gut. Die ganze Familie ihrer Mutter – die geliebten Großeltern und ein weiterer Onkel, der jüngere Bruder der Mutter – wurde durch den Krieg ausgelöscht. Die Trauer bleibt in einem, sagt sie. Und manche Erinnerungen kommen erst jetzt wieder hoch.

Für die heutige Zeit sieht sie die Notwendigkeit, Friedensarbeit innerhalb der Familien zu leisten. Sich austauschen, miteinander reden, jeder müsse sagen dürfen was ihn stört. Offenheit, Transparenz, Wahrheit, Pressefreiheit, Gerechtigkeit – für diese Werte ist sie auch jetzt im hohen Alter noch auf die Straße gegangen –für Julian Assange und im Zusammenhang mit Corona.

Das starke „Wir-Gefühl“ der Friedensbewegung der 80er Jahre, das sie erlebt hat – wenn man das nur wiederbeleben könne. Es habe auch Spaß gemacht damals, die Aktionen durchzuführen. Ihre Kraft hätten sie damals gespürt, als Pazifisten. Aber leider hätten das auch „die anderen“ gespürt. Und die Presse habe seitdem den Frieden nicht befördert. Viel zu wenig sei darüber berichtet worden – über die Arbeit von Brückenbauern, Konflikttransformation, Friedensakademien, über die guten Beispiele.

Zum Frieden gehören Wissen, Empathie, Phantasie und ein langer Atem, sagt sie. Und, ja, den habe sie, den langen Atem.

„Wir Älteren werden immer noch gebraucht“, ist sie überzeugt. Um zu erklären, denen, für die die guten Zeiten selbstverständlich sind, und um die Zusammenhänge aufzuzeigen, z.B. zwischen Krieg und Klima. Und um die Angst zu nehmen, auch familiär. Jeden sehen, jeden hören, liebevoll umgehen miteinander in den Familien – das könne und müsse ein Beitrag sein.

Positiv sieht sie, das heute viele mehr die Doppelbödigkeit hinterfragen. Immer mehr Menschen merkten, dass das System so nicht funktioniere und dass wir es zu mehr Menschlichkeit weiter entwickeln müssen. „Die autoritären Strukturen nehmen gerade sehr zu“, das beobachtet sie. Aber der Widerstandsgeist, die Aufmüpfigkeit dagegen – auch das sieht sie. Ein wenig mehr könnten wir in Deutschland dahingehend von anderen Ländern lernen, etwas mehr Kraft im sich Wehren gegen die Strukturen, die den Menschen aufgezwungen werden. Dranbleiben müsse man, auch gegen die Macht der Konzerne. Wahrheit und Recht – das müsse wieder ganz neu in den Mittelpunkt gestellt werden. Das Beste für alle müsse das Ziel sein, nicht nur das Beste für eine kleine Schicht.

Dafür engagiert sie sich weiterhin – im direkten Dialog, auch zu später Stunde, mit einem Leuchten in den Augen, das allen, die Inge in Person erleben dürfen, Wärme, Energie und Hoffnung spendet.