Chronik 14

Impfpflicht? Zwischen zwei Abstimmungen – # 14. Eine Corona-Chronik zu Wissenschaft, Kommunikation und Politik in einer zerrissenen Gesellschaft

Am Dienstag, 30. November 2021, spricht sich der da noch „zukünftige“ Bundeskanzler Olaf Scholz auf dem letzten von Angela Merkel geführten Bund-Länder Treffen für eine allgemeine Impfpflicht aus und kündigt zugleich an, dass bei der zukünftigen Abstimmung (hier: „Zweite Abstimmung“) im Bundestag dafür der Fraktionszwang entfallen solle. 

Am Freitag, 10. Dezember 2021, beschließt der Bundestag (hier: „Erste Abstimmung“) den Gesetzentwurf von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, der eine Impfpflicht für Gesundheits- und Pflegepersonal („einrichtungsbezogene Impfpflicht“) ab 15. März 2022 beinhaltet.

#Wir dokumentieren hier die Zeit „zwischen den Abstimmungen“, mit dem 30. November 2021 als Startpunkt. Das Ergebnis ist ungewiss, da die zweite Abstimmung noch nicht stattgefunden hat. Sicher ist, dass diese Zeit von der Nachwelt aufgearbeitet werden wird. Insofern möge die Chronik dazu beitragen, den Überblick in der Gegenwart zu behalten und eine Rückschau zu unterstützen. Zu welchem Urteil die Historiker wohl kommen werden?

#Wir beleuchten die Ereignisse systematisch anhand folgender Dimensionen

  1. Wissenschaftliche Erkenntnisse und Thesen
  2. News von Pharma/Biotech und Fachbehörden
  3. Kommunikative und mediale Höhepunkte
  4. Politische Entscheidungen und Maßnahmen
  5. Juristische Prozesse und Entscheidungen
  6. Gesellschaftlicher Diskurs und Reaktionen

#Wir sind zu zweit, weiblich, akademisch und beruflich qualifiziert in biomedizinischer Forschung und Industrie, in Politikwissenschaft, Ökonomie und Journalismus. Wir streben nach einer ausgewogenen Darstellung derjenigen Ereignisse, die wir entscheiden aufzugreifen. Wie in einer Chronik üblich, obliegt die Auswahl dem Chronisten.

Die Chronik findet sich on-line bei dem wir-gemeinsam Bündnis https://wir-gemeinsam-buendnis.de/chroniken/ sowie bei Eltern für Kinder e.V. http://elternfuerkinder.de/Corona-Chronik/, es können jeweils auch die vorherigen Einträge heruntergeladen werden. Zudem auf Medium https://medium.com/@sabine.kaiser – dort kann man auch „subscriben“. 

Es folgt der Chronikeintrag #14, für die Zeitspanne vom 25.03.2022 bis zum 30.03.2022. Hot-Spot-sein oder Hot-Spot-nicht-sein, das ist die Frage für die Bundesländer, die sich für die Zeit ab dem 02.04.2022 positionieren müssen. Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg entscheiden sich zügig dafür, die meisten anderen dagegen. Ein jetzt bekanntgewordenes Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags sieht im Falle der Impfpflicht Impfverweigerer als Straftäter; zur Durchsetzung im Rahmen des Verwaltungszwangs könne auch Waffengewalt zum Einsatz kommen. Für den 07.04.2022 steht die Abstimmung im Bundestag über das Impfpflichtgesetz an. Bei einer freien „Gewissensentscheidung“ wird es eventuell nicht bleiben, SPD und Union sind bereits in Verhandlungen eingestiegen.

Chronikeintrag # 14 am 30.03.2022

  1. Wissenschaftliche Erkenntnisse und Thesen

Long Covid – ein Scheinriese? Dazu erscheint am Freitag, den 25.03.2022 ein Beitrag von Mario Martin auf reitschuster.de, bezugnehmend auf eine Untersuchung an der Universitätsklinik Essen, und ein Interview des Studienleiters und Leiters der dortigen neurologischen Klinik, Christoph Kleinschnitz, mit dem WDR. In der Studie wurden ca. 500 Personen untersucht, dabei ergaben sich bei 90-95% der Betroffenen keinerlei auffälligen körperlichen Befunde, trotz sophistizierter Untersuchungen wie Kernspin, Nervenwasser- Untersuchung, elektrischer Vermessung des Nervensystems, Ultraschall etc.: „Unsere Erfahrung an einem wirklich großen Covid-Zentrum ist die, dass man doch vielen Patientinnen und Patienten viel besser über den psychologisch-seelischen Bereich helfen kann.“, so wird Christoph Kleinschnitz zitiert https://reitschuster.de/post/scheinriese-long-covid/ .

Typische Symptome: Starke Müdigkeit, sogenannter Nebel im Kopf, eine verminderte Leistungsfähigkeit. Besonders anfällig seien Menschen, die schon im Vorfeld der Erkrankung psychologisch-psychiatrische Vorerkrankungen hatten. Auch würden Menschen mit Verwaltungsberufen signifikant häufiger in der Long-Covid-Ambulanz vorstellig werden als Menschen aus handwerklichen Berufen, Bauarbeitern oder anderen Berufen, die den Körper stark beanspruchen. Allgemein würden die Zahlen zum Auftreten von Long-Covid-Phänomenen wohl deutlich überschätzt, insbesondere auch im Kontext von Omicron.

Ein Blick in die Zeit vor Corona lohnt – denn „the post viral syndrome“ ist keineswegs neu. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC1710789/) Ein wissenschaftlicher Review Artikel von 1987 kommt zu dem Schluss, dass viel auf Hysterie und eine veränderte Wahrnehmung zurückzuführen sei, dass aber auch körperliche Fehlfunktionen eine Rolle spielen würden: „A balanced view of the syndrome as a mixture of organic and psychiatric dysfunction is offered“.

Eine weitere, aktuelle Studie von Forschern der TUM, LMU, BTU Cottbus und TU Leuven, als Pre-print veröffentlicht am 15.02.2022 und zuletzt editiert am 23.03.2022, mit dem Titel „Post-COVID symptoms in the absence of organic deficit – Lessons from diseases we know“ argumentiert, dass eine Unterscheidung von strukturell bedingten („hardware“) und prozess-bedingten („software“) Störungen nicht sinnvoll sei, sondern dass diese verzahnt seien. Dabei könne es zu einer kompletten Abkopplung der Symptome von strukturellen Manifestationen kommen, ohne dass diese deswegen weniger „echt“ seien.

Für Atemnot und Schwindel sind diese Phänomene aus vergangenen Studien (vor Corona) bereits bekannt und könnten auch für Post-Covid Phänomene eine Rolle spielen – es geht gemäß dieser These bei der Symptomatik nicht um den alleinigen sensorischen Input aus dem „Körper“, sondern um Prozesse im Gehirn, die vorherige Erfahrungen mitverarbeiten und aktiv interpretieren bzw. verankern: „The theory behind this is that symptom perception is not a passive reflection of input from body sensors but is a constructive process by the brain that takes prior experiences into account, e.g. about the body, social interactions, emotions, cognitions and behavior.”

Also Psychsomatik, ein „konstruktiv-aktives Gehirn“ oder manifestierte Schädigungen durch das Virus bei „Long/Post Covid“ Phänomenen?

Je mehr gesucht und geforscht wird, desto mehr wird gefunden und neue, weiter zu validierende Hypothesen werden kreiert, also auch der Bedarf für weitere Studien und weitere Publikationen für die Wissenschaftler. Aber zusätzlich kann auch noch die allgemeine Beunruhigung bzw. diffuse Angst aufrechterhalten werden, die die Bevölkerung dazu motiviert, weiterhin einschränkende Maßnahmen nicht nur in Kauf zu nehmen, sondern sogar zu befürworten.

Dazu ein neues Beispiel, nach den unlängst wieder aufgegriffenen Publikationen zur temporären „Schrumpfung des Gehirns“ durch Corona (siehe Chronik #12, Seite 2). Wissenschaftler aus Münster hätten gezeigt, so BR24 am Montag, den 28.03.2022, https://www.br.de/nachrichten/wissen/coronavirus-infiziert-die-netzhaut-und-kann-sich-dort-vermehren,T1MqCym , dass eine Corona-Infektion auch die Netzhaut schädigen könne. Bezug genommen wird dabei auf eine am 24.03.2022 veröffentlichten Studie in der wissenschaftlichen Publikation „Stem-cell-reports“, in der die Wissenschaftler zeigen, dass sich Coronaviren in Netzhaut – Organoiden, also dreidimensionalen Zellmodellen aus reprogrammierten, pluripotenten Stammzellen, vermehren können. https://www.cell.com/action/showPdf?pii=S2213-6711%2822%2900104-7 Daraus schließen die Wissenschaftler, dass die bei Corona Patienten – selten – beobachteten Sehbehinderungen durch direkte Effekte im Auge verursacht sein könnten, und man auch in Hinblick auf „Long-Coviddegenerative Erkrankungen der Netzhaut im Auge haben müsse. Der zwingende Zusammenhang zwischen den Beobachtungen aus den Organoid-Modellen und der Long-Covid Besorgnis erschließt sich allerdings nicht.

Es ist davon auszugehen, dass „Long-Covid“ als individuelles Gesundheitsproblem, gesamtgesellschaftliches Phänomen, politisches Betätigungsfeld und geschäftliche Opportunität uns noch eine Weile beschäftigen wird. Gesundheitsminister Karl Lauterbach „will im zweiten Halbjahr ein deutschlandweites Netzwerk von Kompetenzzentren zu den Long-Covid-Erkrankungen umsetzen und interdisziplinäre Ambulanzen entwickeln, die sich mit dem Thema beschäftigen, das inzwischen Millionen Deutsche betrifft“, so das ThePioneer Hauptstadt-Briefing am Morgen des 31.03.2022.

In Folge 294 seines Corona-Kompass Podcasts vom Dienstag, den 29.03.2022 erläutert Alexander Kekulé die aktuellen, als Pre-Print veröffentlichten Daten einer israelischen Studie zur Wirksamkeit der vierten Impfung bei Menschen zwischen 60 und hundert Jahren. Retrospektiv wird auf Basis der Daten eines der großen israelischen Gesundheitsversorger die Sterblichkeit bei Menschenmit nur einem Booster (Dreifach-Geimpfte) versus der von Menschen mit zwei Boosterungen (Vierfach-Geimpfte) innerhalb einer Gesamtheit von ca. einer halben Million Menschen im Rahmen einer Beobachtungsstudie verglichen

Die relative Risikoreduktion sieht überzeugend aus – mit 92 Toten in der Gruppe der Vierfach-Geimpften versus 232 Toten in der Gruppe mit der Dreifach-Impfung ergibt sich inkl. aller Adjustierungen eine relative Reduktion von 78%. Der Effekt ist geringer als noch beim ersten Booster, da lag der Wert bei einer analogen Betrachtungsweise bei 90%.

Interessanter aber der Blick auf das absolute Sterberisiko. Dieses liegt in der Studie über die gewählte Beobachtungszeit insgesamt bei 0,06%, also extrem niedrig. Dies ist wenig überraschend, da Omicron eben in der Regel keine tödliche Krankheit ist, auch nicht bei Hoachaltrigen. Für die Dreifach-Geimpften liegt es im Rahmen dieser Beobachtungen bei 0,1%, bei den vierfach Geimpften bei 0,03%. Daraus folgt, dass die Viert-Impfung zu einer absoluten Risikoreduktion von 0,07 Prozentpunkten führt – ein marginaler Effekt. Zudem wurde nicht das Infektionsrisiko sondern das Todesrisiko betrachtet – etwaige unterschiedliche Verhaltensweisen der beiden Gruppen wurden also nicht einmal berücksichtigt. Hier der Audio-Link: https://www.mdr.de/nachrichten/podcast/kekule-corona/audio-infektionsschutzgesetz-omikron-welle-100.html

  • Pharma/Biotech und Fachbehörden

Nicht nur die bekannten Impfstoffproduzenten – auch viele Diagnostikhersteller haben an Corona prächtig verdient – und diese Opportunität scheint noch längst nicht ausgeschöpft, obwohl die Tests seit dem Auftreten der Omicron-Variante nur noch unzureichend funktionieren (siehe Chronik #04, Seiten 4-5). So berichtet Fierce Biotech am Freitag, den 25.03.2022, von einem $1-Milliardenauftrag des DOD, des US-amerikanischen Department of Defense, an Abbott, für eine unbekannte Zahl seiner beiden COVID-19-Tests, zu liefern bis zum Ende Juni 2022. Überhaupt ist die US-Regierung unter Joe Biden unverändert dabei, die Verfügbarkeit von Tests und Testinfrastruktur in den USA zu erhöhen. Von einer kurzen Durststrecke im Sommer 2021 abgesehen, als der vorübergehende Glaube an die Wirksamkeit von Impfstoffen kombiniert mit den niedrigen Fallzahlen der Sommermonate den Testbedarf stark absinken ließ, war und ist Corona eine Goldgrube auch für die Diagnostikhersteller, von der neben Abbott u.a. auch die Firmen Roche und Siemens Healthineers profitieren, ebenso wie chinesische Firmen und deren amerikanische oder europäische Tochterfirmen. https://www.fiercebiotech.com/medtech/abbott-snags-1b-us-government-contract-rapid-covid-19-tests

Am Dienstag, den 29.03.2022 erhalten Pfizer/BioNTech und Moderna eine einheitliche Antwort der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA zu ihren in der Vorwoche gestellten Anträgen auf Zulassung ihrer jeweiligen COVID-19 mRNA Impfstoffe (Corminaty/Spikevax) zum Einsatz bei einer Viertimpfung (siehe Chronik#13, Seite 2). Pfizer/BioNTech hatten die Zulassung für 65-Jährige und Ältere beantragt, Moderna dagegen für 18-Jährige und Ältere. Beide erhalten jetzt die Zusage für den Einsatz in der Altersklasse ab 50 Jahren. https://www.reuters.com/world/us/fda-green-lights-second-booster-pfizerbiontech-moderna-covid-shot-older-2022-03-29/ .

Parallel dazu passt auch die CDC, die amerikanische Seuchenschutzbehörde, die Empfehlung entsprechend an, und empfiehlt die Viertimpfung weiterhin für immunschwache Risikopatienten sowie jetzt auch eben für alle ab 50 Jahren, mit einem mindestens vier-monatigen Abstand zur Drittimpfung. https://www.cdc.gov/media/releases/2022/s0328-covid-19-boosters.html

Noch vor einem Monat hieß es „the Biden administration is not planning to recommend fourth doses of the coronavirus vaccine anytime soon“, inhaltlich gestützt von FDA (Viertimpfung tendentiell erst im Herbst) und CDC (zum jetzigen Zeitpunkt Viertimpfung nur für immunschwache Risikopatienten) https://www.nytimes.com/2022/02/17/us/fourth-dose-covid-vaccine.html . Pfizer/BioNTech und Moderna können mit der neuesten Entwicklung also hoch zufrieden sein. Eine solide, inhaltliche Begründung für den Meinungswandel der amerikanischen Behörden gibt es nicht.

In Europa, anders als in den USA, hat sich die europäische Zulassungsbehörde EMA, für Fachleute durchaus überraschend, auf den Standpunkt gestellt, dass mit der Erstzulassung der COVID-19 Impfstoffe auch automatisch der Einsatz bei darauffolgenden Boosterungen genehmigt sei. Insofern obliegt es den nationalen Behörden, in Deutschland der Ständigen Impfkommission (STIKO), einem Expertengremium am Robert-Koch Institut (RKI), entsprechende Empfehlungen auszusprechen. Seit Mitte Februar gilt in Deutschland die Empfehlung zur Viertimpfung für alle ab 70, für Bewohner von Altenheimen und für alle Immungeschwächten ab fünf Jahren (siehe https://www.mdr.de/brisant/corona-zweiter-booster-vierte-impfung-100.html  sowie Chronik #09, Seite 11).

Der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach gibt sich damit nicht zufrieden, und drängt am Dienstag, den 29.03.2022 sowohl die STIKO als auch auf EU-Ebene zu einer Empfehlung zur Viertimpfung für alle über 60 Jahren, diese solle die EU-Kommission „innerhalb kürzester Zeit auf Basis wissenschaftlicher Expertise“ erarbeiten. https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/coronavirus-pandemie-impfungen-101.html

Staatlich eingeforderte, „wissenschaftliche Auftragsexpertise“ also – weiterhin auf Basis der wenig überzeugenden Daten aus Israel, den einzigen dazu weltweit überhaupt verfügbaren Informationen. Bei Viertimpfung und im Vergleich zur dritten Dosis „senke der Impfstoff die Sterblichkeit noch einmal um 80%“, so Karl Lauterbach – man vergleiche dazu die kritischen Erläuterungen von Alexander Kekulé, wiedergegeben unter Punkt 1 dieser Chronik. Wichtiger vielleicht der weitere Grund, den Karl Lauterbach aufruft: Es könne dadurch eine Menge bisher nicht abgerufenen Impfstoffes vor der Vernichtung bewahrt werden. https://web.de/magazine/news/coronavirus/karl-lauterbach-vierte-corona-impfung-60-jaehrige-36732104

Mit Nachschub an Impfstoff zum Einsatz bei Boosterungen darf im Übrigen gerechnet werden. Am Dienstag, den 29.03.2022 gibt die EMA bekannt https://www.ema.europa.eu/en/news/ema-starts-rolling-review-covid-19-vaccine-hipra-phh-1v , mit dem Zulassungsverfahren in Form eines „Rolling Review“ für den COVID-19 Impfstoff PHH-1V des spanischen Impfstoffhersteller Hipra zu beginnen https://www.hipracovid19.com/en/covid-19-discover-our-research-projects-new-vaccine . Es handelt sich um einen rekombinanten Proteinimpfstoff, bei dem zwei Versionen des Spike-Proteins, entsprechend der Alpha- und der Beta Varianten des Virus, enthalten sind. Der Hersteller rechnet nach eigener Aussage damit, dass der Impfstoff noch im Jahr 2022 auf den Markt kommen wird. Für den Start des beschleunigten Prüfverfahrens der EMA wurden bereits Ergebnisse aus klinischen Studien vorgelegt.

Nach den vorläufigen Studien wirke dieses Präparat auch gegen eine Infektion gegen die Omicron-Variante des Virus – was tatsächlich zu begrüßen wäre. https://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail/coronavirus/hipra-ema-startet-pruefung-von-booster-impfstoff/ Ohnehin wird weltweit weiter an COVID-Impfstoffen geforscht, mit dem Ziel, sogenannte „Pan-Corona-Impfstoffe“ zu entwickeln, die – als Wunschvorstellung – gegen alle existierenden und zukünftigen Varianten und bislang unbekannte Coronaviren helfen sollen.

  • Kommunikative und mediale Höhepunkte

Von ThePioneer erfahren wir im Hauptstadt Briefing am Montag, den 28.03.2022, dass von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nun der „wahrscheinlich letzte Versuch“ unternommen wird, mit der Union eine Verständigung beim Thema Corona-Impfpflicht zu finden. Der Kanzler „solle persönlich CDU-Chef Friedrich Merz gebeten haben, ein weiteres Mal mögliche Kompromisslinien auszuloten“.

Am Mittwoch den 30.03.2022 solle via Videokonferenz verhandelt werden, ohne Olaf Scholz und Friedrich Merz, vorgesehen seien für die SPD die beiden stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion Dagmar Schmidt und Dirk Wiese sowie auf der anderen Seite Unionsfraktionsvize Sepp Müller und der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU im Bundestag, Stefan Müller.

Laut „The Pioneer“ käme ein Durchbruch vollkommen unerwartet – Merz habe vergangene Woche intern das Signal gegeben, die Union sei zwar gesprächsbereit, werde aber hart bleiben.

ThePioneer sieht per aktuellem Standam 28.03 folgende Szenarien, wie es weitergehen könnte:

  • Die Impfpflicht-Verfechter machen noch Abstriche an ihrem Konzept, wie zunächst mit besonders gefährdeten Gruppen zu beginnen. In der Union wird aber mit derlei Zugeständnissen nicht gerechnet.
  • Eine andere Option wäre wiederholtes Vertagen und damit der Versuch, das Thema auf die lange Bank zu schieben. Man könnte es öffentlich so darstellen, dass noch rechtliche Fragen zu klären seien. Wobei dafür natürlich genug Zeit gewesen wäre.
  • Das unwahrscheinlichste Szenario: Rückzug. Die Impfpflicht ab 18 würde auf Nimmerwiedersehen von der Tagesordnung des Bundestages genommen. Allerdings hätten Scholz und seine Mitstreiter dann zu fürchten, dass die Union ihr Konzept zur Abstimmung stellt und dafür womöglich die erforderliche Mehrheit zusammenbringt.
  • Das letzte Szenario: Die Impf-Befürworter gehen ins Risiko, stellen ihre Pläne zur Abstimmung und nehmen dabei eine mögliche Niederlage in Kauf.

Am Dienstag, den 29.03.2022 gibt es einen ersten Schritt der SPD in Richtung „Zugeständnis“ und Kompromisssuche mit der Union (CDU/CSU). Die SPD-Bundesvorsitzende Saskia Esken deutet dies gegenüber dem Nachrichtenportal t-online an: Eine stufenweise Umsetzung der Impfpflicht sei ein Ansatz, dem man sich annähern könne. Und auch ein Impfregister sei erstrebenswert – man könne es ja parallel zur Umsetzung der Impfpflicht aufbauen. Sie könne sich gut vorstellen, dass man mit der Union da zusammenkomme. https://www.welt.de/politik/deutschland/article237851989/Impfpflicht-SPD-Chefin-Esken-offen-fuer-Vorschlag-der-CDU.html

Unmittelbar auf diese Avance folgt – zunächst einmal – eine abweisende Reaktion seitens des gesundheitspolitischen Sprechers der Unionsfraktion, Tino Sorge (CDU), zur WELT, ebenfalls am Dienstag, den 29.03.2022. Es handele sich um ein taktisches Spielchen der SPD, diese versuche bereits jetzt, das Scheitern der Impfpflicht der Union in die Schuhe zu schieben. Die Union werde sich nicht darauf einlassen und an ihrem Vorschlag festhalten: „Wenn die SPD einen Kompromiss möchte, muss sie ihm nur zustimmen. Der Kompromiss ist unser Impfvorsorgegesetz, das seit Wochen auf dem Tisch liegt. Mehrheitsbeschaffer einer pauschalen Impfpflicht ab 18, ob nun gestuft oder nicht, wird die Union nicht sein.“ https://www.welt.de/politik/deutschland/article237856897/Impfpflicht-Taktisches-Spielchen-CDU-und-CSU-lassen-Saskia-Esken-abblitzen.html

Nach dem Gespräch am Mittwoch, den 29.03.2022 zwischen den Befürwortern der Impfpflicht ab 18 und der Unionsfraktion heißt es im ThePioneer Hauptstadt-Briefing des Folgetages, dieses sei ohne greifbares Ergebnis geblieben. Tino Sorge wird erneut zitiert: „Die Union ist nicht ein Mehrheitsbeschaffer für eine allgemeine Impfpflicht. Mit ihrem Plan, diese durch Gruppenanträge ohne eigene Mehrheit durchzusetzen, werden Olaf Scholz und Karl Lauterbach im Bundestag scheitern“.

Dafür verhandeln jetzt, laut ThePioneer, zwei andere Gruppen miteinander – die Befürworter der Impfpflicht ab 18 (im Wesentlichen: SPD/Grüne) mit der gemischten Gruppe um den FDP-Abgeordneten Andrew Ullmann, die eine Impfpflicht ab 50 Jahren fordert. Beide Gruppen zusammen kämen nach aktuellem Stand noch nicht auf eine erforderliche Mehrheit, etliche Abgeordnete seien aber noch unetschlossen.

Ein Überblick über die einzelnen Gesetzesentwürfe und Anträge sowie die Verlinkung zu den eigentlichen Dokumenten findet sich auf dem Server des Bundestags: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw14-de-impfpflicht-886566 Laut Agenda fällt die Entscheidung am Donnerstag, den 07.04.2022 zwischen 9:00 und 10:20 https://www.bundestag.de/tagesordnung?week=14&year=2022

Am Dienstag, den 29.03.2022 läuft die letzte reguläre Folge des „Coronavirus-Update“ Podcasts von Christian Drosten auf NDR-Info. Als Zeichen für eine Ende der Pandemie soll das nicht verstanden werden und Christian Drostens Prognosen sind gewohnt düster – so sieht er aktuell in China enorme „Evolutionsmöglichkeiten“ für das Virus, das er dann für den Herbst wieder zurück auf der Agenda erwartet, man werde das Infektionsgeschehen dann „wohl nicht einfach laufen lassen können“. https://web.de/magazine/news/coronavirus/christian-drosten-abschied-podcast-duesteren-prognosen-36734224

Gesundheitsminister Karl Lauterbach versucht unterdessen, den über die mangelnde Konsultation verärgerten Bundesländern (siehe Chronik #13, Seite 14) die im geänderten Infektionsschutzgesetz (IfSG) verankerte Hot-Spot-Regelung näher zu bringen. Mit Ablauf der „Übergangsfrist“ zum 02.04.2022 müssten die Länder diese entsprechend nutzen, wenn die aktuellen, Grundrechte einschränkenden Maßnahmen weiter aufrechterhalten werden sollen. Im Vorfeld des Gesundheitsministertreffens am Montag, den 28.03.2022, kommuniziert Karl Lauterbach die von ihm definierten „Kriterien“ bereits an die Presse. Dazu gehöre, wenn in Krankenhäusern wegen Corona planbare Eingriffe nicht mehr gemacht werden könnten, die Notfallversorgung gefährdet sei, in der Pflege Untergrenzen unterschritten würden oder Patienten in andere Krankenhäuser verlegt werden müssten. Mit diesen Kriterien sollten die Länder in der Lage sein, die Hot-Spot-Regelungen umzusetzen. „Und ich appelliere an die Länder, das jetzt zu machen“, sagte Lauterbach weiter, laut ntv.

Die Forderung des bayerischen Gesundheitsministers Klaus Holetschek (CSU) nach einer bundesweiten Verlängerung der Maskenpflicht lehnt Lauterbach ab. „Ob er das vorschlägt oder nicht, das ist vollkommen unerheblich. Es geht rechtlich nicht“. https://www.n-tv.de/panorama/Lauterbach-schlaegt-Hot-Spot-Kriterien-vor-article23228277.html   

Karl Lauterbachs „Kriterien“ gehen über den Gesetzestext hinaus, der von einer „drohenden Überlastung der Krankenhauskapazitäten wegen besonders vieler Neuinfektionen oder wegen „eines besonders schnellen Anstiegs der Neuinfektionen“ spricht. Sie können als Erläuterung verstanden werden, allerdings fällt bei ihm zumindest in der medial übermittelten Kurzfassung die Kopplung an den Infektionsanstieg weg. Ohne diese Kopplung könnte also auch eine statische Überlastung der Krankenhäuser, z.B. aufgrund Personalmangels seit Einführung der Impfpflicht in der Pflege als hinreichender Grund zur Einführung der Hot-Spot-Regelung dienen.

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder folgt der Lauterbachschen Gesetzesinterpretation nicht, er führt am Montag, den 28.03.2022 die aktuelle Personalnot im Gesundheitswesen darauf zurück, dass viele Beschäftigte in Isolation oder Quarantäne seien. Wenn der Bund schon ein Gesetz mit unsauberen Regeln mache und die Beschränkungen aufhebe, dann müsse er auch die Quarantäne-Vorgaben anpassen – „insbesondere für viele, die symptomlos sind und deswegen auch weniger ansteckend sind”, so Markus Söder, laut BR24. Das gelte sowohl für die Krankenhäuser als auch generell. https://www.br.de/nachrichten/bayern/soeder-zu-corona-keine-Hot-Spot-regel-fuer-ganz-bayern,T1NDv5p 

Vielleicht hat Markus Söder die Inspiration dazu aus Spanien bezogen – dort wird nämlich am gleichen Tag, also Montag den 28.03.2022, die Test- und Isolationspflicht abgeschafft, getreu der schon seit längerem vorgegebenen Linie, Corona-infektionen nunmehr wie eine normale Grippe zu behandeln. https://www.zdf.de/nachrichten/politik/corona-massnahmen-quarantaene-100.html

Am Mittwoch, den 30.03.2022 schlagen dann tatsächlich auch für Deutschland RKI und Gesundheitsministerium vor, sowohl „Quarantänezeiten“ für Kontaktpersonen als auch „Isolierungen“ generell auf fünf Tage zu verkürzen. Formelle Anordnungen des Gesundheitsamtes werde es nicht mehr geben, es müsse weder eine „strenge Quarantäne“ noch eine „strenge Isolierung“ sein. Im Gesundheitswesen und der Pflege solle ebenfalls die Fünf-Tage-Regel gelten, hier aber mit Testpflicht frühestens ab dem fünften Tage.https://www.tagesschau.de/newsticker/liveblog-corona-mittwoch-119.html

Normalität fordert der Kinderärztepräsident Thomas Fischbach für die Kinder. Konkret fordert er ein Ende der anlasslosen Testpflicht an Kitas und Schulen, die im Rahmen der Basisschutzmaßnahmen weiter Bestand haben können. Es sei eine „überflüssige Zumutung“, er verweist auf die entsprechende Stellungnahme pädiatrischer Fachgesellschaften; zugleich erweist er sich als großer Impf- und Impfpflichtbefürworter. Von Karl Lauterbachs Rede aus der Gesetzesdebatte zur Einführung der allgemeinen Impfpflicht am 17.03.2022 im Bundestag (siehe Chronik #13, Seite 11) übernimmt er die falsche und diffamierende Aussage, die Ungeimpften nähmen „den restlichen Teil der Bevölkerung in Geiselhaft“. https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/kinderaerztepraesident-testpflicht-an-kitas-und-schulen-beenden,T1MVbQe

Ein bereits etwas älteres Dokument – eine Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags von Ende des Jahres 2021, mit dem Titel: „Allgemeine COVID-19-Impfpflicht – Sanktionsmöglichkeiten und Verwaltungsvollstreckung“ zirkuliert zunächst ein paar Tage in den Sozialen Medien und wird am Montag, den 28.03.2022 von der Berliner Zeitung aufgegriffen. https://www.berliner-zeitung.de/gesundheit-oekologie/impfverweigerer-sind-straftaeter-gesetz-koennte-mit-hartem-zwang-vorgehen-li.219277 Thematisch passt das bestens zur anstehenden Entscheidung über die Gesetzesentwürfe zu einer allgemeinen Impfpflicht – es geht in dem Dokument darum, mit welchen Zwangsmaßnahmen im Falle einer Impfpflicht die Unwilligen in Deutschland wohl zur Impfung genötigt werden können („Durchsetzungsmöglichkeiten“). Das Dokument ist über den Server des Bundestags zugänglich:https://www.bundestag.de/resource/blob/880040/b78aedc909645ad7528bcfcf3fe198b3/WD-3-199-21-pdf-data.pdf

Der Wissenschaftliche Dienst geht davon aus, dass eine Impfpflicht auf Basis des §20 Abs. 6 und 7 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) per Verordnung durchgesetzt werden könnte, bevorzugt aber die Einführung per Gesetz, aus Gründen der „Rechtssicherheit“, unabhängig von der Verhältnismäßigkeit, die ebenfalls gegeben sein müsse. Dazu der Hinweis, dass der Gesetzgeber zwar einen Einschätzungs-und Bewertungsspielraum habe, er müsse seine „diesbezüglichen Einschätzungen und Bewertungen allerdings auf die jeweils aktuellen Erkenntnisse unter anderem zum Infektionsgeschehen, zur freiwilligen Impfbereitschaft und zu Nebenwirkungen der Impfung stützen. Ein Hinweis, den die impfpflichtbefürwortenden Parlamentarier und Regierenden aktuell bedauerlicherweise grob missachten, wie aus ihren faktenbefreiten Beiträgen zur Bundestagsdebatte in der ersten Lesung und der Argumentationslinie im Entwurf des Gesetzes für eine allgemeine Impfpflicht ab 18 unmittelbar erkennbar wurde (siehe Chronik #13, Seite 5-11 sowie Chronik #11, Seite 10).

Im Wesentlichen geht es in dem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes aber um Sanktionsmöglichkeiten und Verwaltungsvollstreckung. Die Berliner Zeitung erläutert dazu wie folgt: „Laut dem Gutachten sind Impfverweigerer nämlich Straftäter, die im Fall einer Impfpflicht mit Zwangsmaßnahmen belegt werden dürfen. Grundlage sei der § 74 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG), welches „einen Straftatbestand beinhaltet““.

Und weiter: „Als Sanktionen und „Verwaltungsvollstreckung“ für Impfverweigerer könne der Gesetzgeber im Grunde die ganze Palette des „Verwaltungszwangs“ zum Einsatz bringen. Und dieser ziele darauf ab, dass der Impfunwillige geimpft wird: „Während das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht der Ahndung der in der Vergangenheit liegenden Rechtsverletzung dient, zielt die Verwaltungsvollstreckung, zu der auch der Verwaltungszwang gehört, darauf, die Pflichtwidrigkeit zu beenden.“  

Sowie: Wenn „die Festsetzung eines Zwangsgeldes nicht zur Vornahme der Handlung durch den Pflichtigen führt, könnte diese nach dem Verwaltungsvollstreckungsrecht grundsätzlich auch durch unmittelbaren Zwang (§ 12 VwVG) vollstreckt werden“. Unmittelbarer Zwang ist, so führt das Gutachten aus, „die Einwirkung auf Personen oder Sachen durch körperliche Gewalt, Hilfsmittel oder Waffen“. Alternativwäre „unter weiteren Voraussetzungen“ eine Haftstrafe möglich: „Kann ein Zwangsgeld beim Pflichtigen nicht eingebracht werden, so ist unter weiteren Voraussetzungen auch eine Ersatzzwangshaft möglich (§ 16 VwVG).“ Die Haft kann gemäß IfSG „bis zu fünf Jahre“ betragen.

Im Gesetzentwurf von Janosch Dahmen, Olaf Scholz, Karl Lauterbach und weiteren ca. 230 Parlamentariern für eine Impfpflicht ab 18 (Drucksache 20/899 vom 03.03.2022:  https://dserver.bundestag.de/btd/20/008/2000899.pdf) steht immerhin bisher nichts von Waffengewalt und auch die Erzwingungshaft ist ausgeschlossen. Zum Einsatz kommen soll das Zwangsgeld – also kein Zwang mit Waffen und Gefängnis, sondern „nur“ durch finanziellen Bankrott. Denn das Zwangsgeld geht bis zu €25.000,- und kann offenbar auch mehrfach verhängt werden (siehe Chronik 11, Seite 11).

  • Politische Entscheidungen und Maßnahmen

Bund

In der Gesundheitsministerkonferenz am Montag, den 28.03.2022, kann Karl Lauterbach die Ministerpräsidenten in ihrer Gesamtheit nicht davon überzeugen, dass das geändert IfSG das Ausrufen eines Bundeslandes als Hot-Spot (wie von Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg vorexerziert) zulasse. Die Bundesländer Bayern, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Hessen und Saarland wiederum scheitern mit ihrem Vorstoß, der Bund solle die Corona-Schutzmaßnahmen um einen weiteren Monat verlängern. „Die Länder verlangen ein Gesetz, das rechtlich nicht geht, statt ein gutes Gesetz, das sie haben, zu nutzen“, kritisierte Lauterbach laut der Berliner Zeitung. Dies halte er für „nicht angemessen“. https://www.berliner-zeitung.de/news/bericht-maskenpflicht-soll-doch-bleiben-li.219251

Im Berliner Senat heißt es daraufhin, man habe die strengen Regeln und Verbote für Berlin ohnehin nicht weiter verlängern wollen, ab Samstag würden die „deutlich milderen Basisschutzmaßnahmen“ greifen.

Bayern

In Bayern fordern die Grünen am Freitag, den 25.03.2022, inspiriert von der Entscheidung von Mecklenburg- Vorpommern am Vortag (siehe Chronik #13, Seite 14), dass ganz Bayern ein Hot-Spot werden müsse. CSU, Freie Wähler, FDP und die AfD halten davon nichts, wenn auch aus durchaus unterschiedlichen Gründen. https://www.br.de/nachrichten/bayern/corona-streit-Hot-Spot-regeln-fuer-ganz-bayern,T16F9S0

Am Montag, den 28.03.2022 kommuniziert Ministerpräsident Markus Söder im Vorgriff auf die Kabinettssitzung am nächsten Tag, dass die Regierung darauf verzichten werde, im Landtag die „Gefahr einer sich dynamisch ausbreitenden Infektionslage” für den Freistaat feststellen zu lassen. „Wir werden in Bayern ein solch schlampiges Gesetz nicht anwenden, wir werden auch keine Hot-Spot-Regelung für ganz Bayern machen – jedenfalls auf absehbare Zeit nicht.https://www.br.de/nachrichten/bayern/soeder-zu-corona-keine-Hot-Spot-regel-fuer-ganz-bayern,T1NDv5p

Ohne eine Hot-Spot-Regelung wird an Schulen im Kontext der Basisschutzmaßnahmen zwar weiter getestet werden können, die Masken müssen nach dem 02.04.2022 aber für alle fallen. Aktuell wird an den bayerischen Schulen noch getestet und Maske getragen, allerdings mit Erleichterungen für Grundschüler, die in Bayern seit Montag, den 21.03.2022 von der Maskenpflicht befreit worden sind – außer, ein Kind der Klasse hatte Corona, dann gilt die Maskenpflicht doch wieder, für fünf Tage. Aufgrund der hohen Inzidenzen müsste das eher die Regel als die Ausnahme sein.

Seit Montag, den 28.03.2022 sind in Bayern auch die Fünft- und Sechstklässler, die am Pooltest teilnehmen, von der Maske befreit. Schülerinnen und Schüler haben gejubelt, so die SZ, offenbar sind aber nicht alle Eltern und Lehrer bzw. deren Vertreter davon begeistert – trotz der hohen Bedeutung, die Lachen und Mimik sowohl für die allgemeine soziale Entwicklung als auch die Sprachentwicklung der Kinder erwiesenermaßen haben. https://www.sueddeutsche.de/muenchen/bayern-schule-maskenpflicht-unterricht-coronavirus-1.5555025?reduced=true

Am Dienstag, den 29.03.2022 erläutert Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) nach der Kabinettssitzung das weitere Vorgehen in Bayern nach dem 02.04.2022, das Markus Söder am Vortag bereits skizziert hatte: Umsetzung aller möglichen Basisschutzmaßnahmen laut des geänderten IfSG, Pflicht zur FFP2-Maske dort, wo eine „Maske“ noch verpflichtend bleibt, ansonsten keine weiteren Maßnahmen und insbesondere keine Initiative zur Deklarierung von Hot-Spots in Bayern https://www.br.de/nachrichten/bayern/corona-massnahmen-weitgehende-lockerungen-in-bayern-ab-sonntag,T1SLSoS

  • Juristische Prozesse und Entscheidungen

Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 15.03.2022 (siehe Chronik 13, Seite 15) zur Klage des Dachverbands der Genfer Gewerkschaften gegen die Schweiz könnte auch die Entscheidungen deutscher Gerichte – inklusive des Bundesverfassungsgerichtes – zu Demonstrationsverboten im Corona-Kontext auf den Prüfstand stellen. Es sei ein „Warnschuss für das Bundesverfassungsgericht“, so der Verfassungsrechtler Franz Josef Lindner im Gespräch mit dem Nordkurier am Montag, den 28.03.2022. https://www.nordkurier.de/politik-und-wirtschaft/warnschuss-fuer-das-bundesverfassungsgericht-2847639103.html

Beispielsweise hatte im Januar 2022 die Stadt Freiburg ein allgemeines Verbot unangemeldeter Corona-Spaziergänge erlassen. Einen Antrag, mit der die Verfügung zu Fall gebracht werden sollte, hatte die 1. Kammer des Bundesverfassungsgerichts am 31.01.2022 im Eilverfahren abgelehnt (siehe Chronik #07, Seite 16), die Entscheidung in der Hauptsache steht hier, wie auch in anderen Fällen, z.B. zu verschiedenen, verbotenen Großdemonstrationen, noch aus.

Auf die Frage, welchen Einfluss auf die deutsche Rechtsprechung dem Urteil des Europäischen Gerichtshof im Allgemeinen beigemessen werden kann, antwortet der Verfassungsrechtler wie folgt: „Die deutschen Behörden und die deutschen Gerichte sind bei der Auslegung des Grundgesetzes auch an die Europäische Menschenrechtskonvention und deren Auslegung durch den EGMR gebunden. Kein Gericht darf hinter den Anforderungen zurückbleiben, die der EGMR aufstellt. Die Gerichte und Behörden der Bundesrepublik können auch im konkreten Fall nicht einfach sagen: „Das interessiert uns nicht, das hat ja nur die Schweiz betroffen.“ Man muss schlicht zur Kenntnis nehmen, dass der EGMR pauschale und generelle Versammlungsverbote grundsätzlich nicht zulässt. Das gilt auch für Deutschland.“

  • Gesellschaftliche Reaktionen

Einsamkeit wirkt lebensverkürzend – ein bereits vor der Pandemie bekanntes, belegtes und beschriebenes Phänomen. Im Jahr 2010 wurde bereits gezeigt, dass Einsamkeit das Leben so stark verkürzen kann wie Rauchen oder Übergewicht, siehe z.B. https://www.diabetes-online.de/a/wenn-alleinsein-krank-macht-1773998. Durch das bei Corona angeordnete Social Distancing hat sich bei Jung und Alt das Gefühl der Einsamkeit verstärkt; laut einer Studie der Universität Köln aus dem Januar 2022 hat sich z.B. bei den Über-80jährigen der Anteil der Menschen, die sich einsam fühlen, gegenüber der Zeit vor der Pandemie verdoppelt https://www1.wdr.de/nachrichten/corona-einsamkeit-alter-studie-100.html.

Isolation und Einsamkeit bedeute für viele Menschen Stress und der sei bei psychischen Erkrankungen immer ein Risikofaktor, der dazu führen könne, dass eine Verschlechterung eintritt oder ein Rückfall, so Karl Heinz Möhrmann vom Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen (BApK), zitiert in einem Beitrag von BR24 vom Samstag, den 26.03.2022, der auf die anhaltenden Besuchsverbote in psychiatrischen Kliniken hinweist. https://www.br.de/nachrichten/bayern/isolation-statt-naehe-besuchsverbote-in-psychiatrischen-kliniken,T10earL. Der Angehörigenvertreter fordert deshalb, dass Besuchsverbote die absolute Ausnahme sein müssten. Das Gegenteil ist aber der Fall.

Stress bedeutet auch die Behandlung durch Medien (Süddeutsche Zeitung, Münchner Merkur) und Arbeitgeber für Marion Schmidt aus München. Marion Schmidt, eine Referentin der KZ-Gedenkstätte Dachau und nach eigener Darstellung „Alt-Linke“ und „Antifaschistin“, wurde der „Verharmlosung des Nationalsozialismus und seiner Opfer“ bezichtigt, weil sie in öffentlichen Reden auf maßnahmenkritischen Veranstaltungen eine „Faschisierung“ von Politik und Gesellschaft beklagte. Presseberichten nach sei sie zunächst freigestellt, über ihre berufliche Zukunft wird öffentlich spekuliert, auch ihr Arbeitgeber äußert sich dazu gegenüber der Presse.

Dazu Uwe Alschner, am Montag, de 28.03.2022 auf Alschner-Klartext, unter Bezugnahme auf die Warnungen von Umberto Eco vor einer Wiederkehr des Faschismus im neuen Gewand: „Wie sehr Marion Schmidt mit ihrer Warnung vor demokratiefeindlichem neuen Faschismus den Finger in die Wunde gelegt haben dürfte, wird deutlich, wenn man die harte, dogmatische und demagogische Linie betrachtet, mit der gegen Frau Schmidt Stimmung gemacht und Debatte rigoros unterbunden wird. Jeder Einzelne hat sich dem Postulat zu unterwerfen, wonach „nur eine Impfung“ die Gesellschaft zur Normalität zurückbringen könne. Und nur um die Interessen dieses Kollektivs könne es gehen.“ https://alschner-klartext.de/2022/03/28/umberto-eco-dachau-und-was-es-uns-mahnt/

Am Mittwoch, den 30.03.2022 berichtet tagesschau.de, dass die Krankenhäuser im Schnitt sechs Prozent ihrer Beschäftigten wegen fehlender Impf- oder Genesenennachweise an die Gesundheitsämter gemeldet haben. Das ergab eine repräsentative Umfrage der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) bei knapp 400 Kliniken, die dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) vorliegt.

Im Einzelnen liege die Meldequote demnach bei den Pflegediensten bei sieben Prozent, wobei sie bei der Intensivpflege vier Prozent betrage. Im ärztlichen Dienst seien es drei Prozent. https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/impfquote-kliniken-101.html DKG-Chef Gerald Gaß findet das „eindrucksvoll“ und „vorbildlich“.

In Bayern fordern hingegen am Dienstag, den 29.03.2022 jetztdie Freien Wähler, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht umgehend aufgehoben werden müsse. Susann Enders, Generalsekretärin und gesundheitspolitische Sprecherin, erklärt: „Nachdem die allgemeine Impfpflicht aktuell medizinisch weder notwendig noch verhältnismäßig und damit auch verfassungsrechtlich nicht durchsetzbar ist, muss der Bund auch die Verpflichtung zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht sofort aufheben.“ Das Gesetz verschärfe den Pflegenotstand zusätzlich und bringe die Behörden vor Ort unnötig in die Bredouille. https://www.corodok.de/freie-waehler-bayern/

Auf Bundesebene https://dserver.bundestag.de/btd/20/005/2000516.pdf ist derzeit die AfD die einzige Partei, die im Rahmen ihres Antrags zur Ablehnung einer Gesetzlichen Impfpflicht gegen das COVID-19 Virus auch die Rücknahme der einrichtungsbezogenen Impfpflicht fordert.

Und jetzt doch der Lock-down in Shanghai – nachdem dieser am Samstag noch ausgeschlossen wurde, befindet sich ab Montag, den 28.03.2022 die 26mio Stadt Shanghai im Lock-down. Genauer gesagt befindet sich die östlich des Huangpu Flusses gelegene Stadthälfte jetzt für neun Tage im Lockdown, danach soll die westliche Stadthälfte folgen. Zur Durchsetzung der Trennung der Stadt sind die den Fluss querenden Brücken und Tunnel blockiert worden.

Auch Tesla in Shanghai ist bereits in der ersten Phase betroffen und kommuniziert einen viertägigen Produktionsstop. Um dagegen die „Wall Street von China“ am Laufen zu halten, sind laut einem Bericht von Reuters am Dienstag, den 29.03.2022 ca. 20.000 Angestellte im Finanzdistrikt Lujiazui noch vor Beginn des Lock-downs zum Einzug in die Büros beordert worden, inkl. Schlafsäcke, Matratzen und sonstiger notwendiger Ausrüstung. https://www.reuters.com/world/china/chinas-wall-street-bankers-traders-sleep-offices-beat-shanghai-covid-lockdown-2022-03-29/

Im Rahmen des Lock-downs soll eine Massentestung erfolgen, unter anderem durchgeführt durch Personal von Krankenhäusern und Gesundheitseinrichtungen, die dazu ihren normalen Betrieb einstellen. https://www.reuters.com/world/china/shanghai-reports-record-asymptomatic-covid-cases-lockdowns-begin-2022-03-28/?utm_source=Sailthru 

Im Lichte der aktuellen Erfahrungen im Rest der Welt bezüglich der spätestens bei Omicron höchst unzuverlässigen Tests und mit dieser Virusvariante im Allgemeinen mutet der eingeschlagene Weg Chinas seltsam an. Immerhin führt er aber dazu, dass der Ölpreis an dem Tag zunächst einmal wieder sinkt https://www.onvista.de/news/oelpreise-geben-stark-nach-lockdown-in-china-belastet-530049501 Es bleibt vieles unvorhersehbar – und leider oft auch irrational.

ENDE