Warum wir mehr öffentliche Debattenräume brauchen

Warum wir mehr öffentliche Debattenräume brauchen

Wir haben einige wesentliche Passagen aus einem Vortrag von Prof. Dr. Rainer Mausfeld beim Deutsch-Amerikanischen Institut in Heidelberg geschnitten, die aus unserer Sicht die Wesentlichkeit intakter öffentlicher Debattenräume für die Demokratie verdeutlichen. 

https://odysee.com/@wirgemeinsam:5/Mausfeld-Demokratie:5

Der Vortrag, der in der Teleakademie des SWR ausgestrahlt wurde, wird dort wie folgt beschrieben: 

“Hat sich die Vorstellung vom “mündigen Bürger” überlebt? Die Idee der Demokratie entsprang aus der Bemühung, eine gesellschaftliche Organisationsform zu finden, die am ehesten einen inneren (und äußeren) Frieden gewährleistet. Demokratie beruht auf der Idee, dass die Bürger zur politischen Selbstbestimmung befähigt sind. Inzwischen ist die Komplexität moderner Gesellschaften so groß geworden, dass kein Einzelner sie mehr zu erfassen vermag.”

Wir legen allen den gesamten Vortrag ans Herz:

https://www.ardmediathek.de/video/tele-akademie/prof-dr-rainer-mausfeld-elitedemokratie-und-meinungsmanagement/swr/Y3JpZDovL3N3ci5kZS9hZXgvbzExNDA0NDc

Alternativ kann das gesamte Video hier abgerufen werden: https://www.youtube.com/watch?v=2h9m_VcDmL8

Es folgt ein Transkript der Kurzversion. Die Hervorhebungen sind von uns:

Demokratie ist ja etwas, was viele Rätsel birgt. Die Demokratie hat im vergangenen Jahrhundert – zumindest vordergründig – einen Siegeszug um die Welt angetreten, obwohl sie für die Mächtigen die unvorteilhafteste Herrschaftsform ist. Das ist im höchsten Grade erklärungsbedürftig. 

Die Demokratie beruht auf Voraussetzungen, die sie selbst ja gerade erst herzustellen hat. Die Demokratie beruht auf der Leitidee des mündigen Bürgers. Mit ihr steht und fällt die Idee von Demokratie. Mündigkeit ist die Befähigung zur Selbstbestimmung und die Unabhängigkeit von einer Bevormundung durch andere. 

Alle wollen immer meinungsstark sein, doch dürfe man das bloße Meinen nicht verwechseln mit einem Gedankenakt. (…) Alle haben Meinungen. Aber nur wenige denken. Demokratie ist die Vergesellschaftung von Herrschaft und die Unterwerfung der Staatsapparate, und zwar aller Staatsapparate unter den Willen der Bürger. Das kann natürlich nur funktionieren, wenn die Bürger die gesellschaftliche Komplexität zu erfassen vermögen und die Folgen ihrer Selbstgesetzgebung sich über diese Folgen auch im Klaren sind. Wenn der Bevölkerung die relevanten Informationen nicht unverzerrt zur Verfügung stehen und der öffentliche Diskussionsraum eingeschränkt ist, gibt es keine Möglichkeit, über die politische Kompetenz der Bürger – ein Urteil über die politische Kompetenz der Bürger abzugeben. Damit verschiebt sich die Frage nach der Mündigkeit der Bürger direkt zu der Frage, in welchem Umfang Medien demokratisch organisiert sind und die Bürger in freier, umfassender und unverzerrter Weise informieren. (…) 

Vergleicht man also die Entscheidung von Funktionseliten mit entsprechenden Meinungsumfragen der Bevölkerung, so wird sehr schnell offenkundig, dass die Bürger zumeist keineswegs das Maß an politischer Dummheit aufweisen, das demjenigen entspricht, dass dem der Funktionseliten in irgendeiner Weise überhaupt nur gleichkäme. Der Kern der Demokratie ist Die Information müssen zur Verfügung stehen und die Bürger müssen eine Möglichkeit haben, diese Dinge zu debattieren. Nun hat es in den vergangenen Jahrzehnten eine schleichende und massive Einschränkung des öffentlichen Debattenraumes gegeben. (…) Das Herzstück der Demokratie und die Bedingung der Möglichkeit von Demokratie ist aber der Öffentliche Debattenraum, in den sich alle gleichberechtigt einbringen können, ist die Intaktheit des öffentlichen Debatten Raumes. Wenn der öffentliche Debatten Raum nicht intakt ist, entfällt die Möglichkeit von Demokratie. (…) Diejenigen, die den öffentlichen Debattenraum gestalten, sind weitgehend die Medien und damit natürlich auch die Besitzer der Medien, engen jetzt den zulässigen öffentlichen Debattenraum ein. Das, was jetzt zur Verfügung steht, ist dann natürlich die Menge der überhaupt noch öffentlich verfügbaren Lösungen. Die Menge der Lösung für gesellschaftliche Probleme wird jetzt eingeschränkt auf das, was vernünftig ist. Und alles, was außerhalb des öffentlichen Debattenraumes ist, wird jetzt als unvernünftig, irrational, extremistisch und heute gerne als populistisch bezeichnet. 

Verfolgt man diese Einschränkung des öffentlichen Debattenraumes, so sieht man, wie er sich über die nächsten Dekaden immer weiter reduzierte, bis er zu diesem Schrumpfraum geworden ist. Das ist dann die verantwortliche Mitte. Und jetzt wird gesagt, das ist sozusagen die extremste Möglichkeit dessen, was links ist. Das hat natürlich mit den historischen Kategorien, mit den historischen Dimension von links nicht mal mehr Berührungspunkte. Deswegen ist es wichtig, sich noch einmal in Erinnerung zu rufen, was ist eigentlich mit links und rechts gemeint? Ich will Ihnen mal eine Minimaldefinition geben von sehr renommierten Soziologen aus den 50er Jahren, die sagen, mit links wollen wir ein Eintreten sozialen Wandels in Richtung größerer Gleichheit politisch, wirtschaftlich oder sozial bezeichnen. Mit rechts eben genau die Gegnerschaft dazu. Rechts ist, wer die jeweiligen Zentren der Macht – es war damals Monarchie, ökonomische Eliten und die Strukturen, auf denen diese Macht basiert. Damals die Kirche Kolonialismus, Sklaverei, heute Konzernkapitalismus zu stabilisieren und zu erhalten sucht. Das ist eine Bestimmung, die auch heute noch Gültigkeit hat. Links ist, wer sich für die Anerkennung der Gleichwertigkeit aller Menschen einsetzt und für eine demokratische Einhegung von Macht. Das war die Haupttriebfeder der Aufklärung. Alle Machtstrukturen haben, ihre Existenzberechtigung nachzuweisen und sich der Öffentlichkeit gegenüber zu rechtfertigen, sonst sind sie illegitim und somit zu beseitigen. Jeder Bürger soll einen angemessenen Anteil an allen Entscheidungen haben, die das eigene gesellschaftliche Leben betreffen. (…) Zentrale Bereiche einer Gesellschaft – fast wörtlich John Dewey  – insbesondere die Wirtschaft dürfen nicht von einer demokratischen Legitimation und Kontrolle ausgeklammert werden. (…) 

Nun stellt sich die Frage, wenn man sich diese heute sehr radikal klingenden Prinzipien der Aufklärung ansieht, wo sind die eigentlich im öffentlichen Debattenraum zu verorten? Demokratie kann nur funktionieren, wenn sie einen intakten öffentlichen Debattenraum hat. Das Herzstück der Demokratie und die Bedingung ihrer Möglichkeit sind ein Debattenraum, in den sich alle gleichberechtigt einbringen können und in dem alle gesellschaftlichen Interessen und Perspektiven vertreten sind. So, jetzt schauen wir uns an: Das ist der Raum, der gesellschaftlich zur Verfügung stehenden Lösungen gesellschaftlicher Probleme. Da ist die Mitte, die die zulässigen Grenzen dessen, was sie als maximal links deklariert und damit die Grenzen von Dissens festlegt. Nun schauen wir, wo die Aufklärung zu verorten ist. Die liegt weit, weit außerhalb des heute zulässigen Debattenraumes. Das Gleiche gilt für John Dewey. Das gleiche gilt für Ingeborg Maus und viele andere. (…) Solange das so ist, haben wir keine Chance, Lösungen für die drängenden gesellschaftlichen Probleme zu finden. Solange der öffentliche Debatten Raum in einer solchen Weise eingeschränkt ist und es gibt guten Grund zu der Annahme, dass für fast alle bedrohlichen gesellschaftlichen Probleme die Lösungen, die wir eigentlich brauchten, heute weit außerhalb des zulässigen öffentlichen Debattenraumes liegen. 

Unsere Aufgabe, unsere vordringliche Aufgabe besteht also darin, die systematisch herbeigeführte Degeneration des öffentlichen Raumes rückgängig zu machen. Dazu kann jeder etwas beitragen und auf diese Weise den Möglichkeitsraum von Handlungs- und Denkoptionen zu weiten und einer wirklichen Demokratie eine Chance zu geben. Danke.