Offener Brief anlässlich Aussagen der Organisation Attac

Wir widersprechen der Diskreditierung unseres demokratischen Protests!

Offener Brief von Hamburger, Berliner und Münchener Demo-Organisator:innen anlässlich der Aussagen der Organisation „Attac Deutschland“ vom 11.02.22 über coronamaßnahmenkritische Demonstrationen.

Sehr geehrter Koordinierungskreis von Attac Deutschland,

am 11.02.2022 haben Sie ein Schreiben an die Anmelderin der coronamaßnahmenkritischen Hamburger „Rathausdemo“ veröffentlicht.

Wir begrüßen Ihr Interesse und Ihre inhaltliche Auseinandersetzung mit unserer Bewegung. Wir möchten jedoch deutlich Stellung beziehen zu Ihren Vorwürfen gegen uns:

Sie hatten Ihre Distanzierung von der Attac Rednerin auf der „Rathausdemo“ in Ihrer ersten Stellungnahme vom 08.02.22 damit begründet, dass Ihre Organisation grundsätzlich nicht mit Rechtsradikalen zusammenarbeitet. Dieser Vorverurteilung der „Rathausdemo“ als rechtsradikal widersprachen deren Organisatorinnen umgehend und vehement in einer am 09.02.22 veröffentlichten Klarstellung und baten um eine zeitnahe Richtigstellung Ihrerseits.

Nun bekräftigen Sie jedoch, Ihre Aussage sei keine „versehentliche Vorverurteilung“, sondern „wohlüberlegt“ und daher sei inhaltlich „davon auch nichts zurückzunehmen“. Weiterhin schreiben Sie in Bezug auf die derzeitigen deutschlandweiten, coronamaßnahmenkritischen Demonstrationen: „Wer sich (…) von rechts abgrenzen will, dem kann das nur gelingen, wenn er sich von dieser Bewegung in ihrer Gesamtheit glaubwürdig distanziert und praktisch fernhält.“

Wir, als links-liberal und bürgerlich ausgerichtete Demo-Organisator:innen, sind über diese Aussage entsetzt: Nicht nur handelt es sich eindeutig um eine unzulässige, diffamierende Vorverurteilung der gesamten Bewegung. Sondern gleichzeitig legen Sie uns nahe, unser aktuelles demokratisches Engagement aufzugeben! Wenn wir Sie hier nicht falsch verstehen, dann sprechen Sie sich dafür aus, dass sich Bürger:innen von einem Gebrauch ihres Grundrechts auf Versammlungsfreiheit bei bestimmten thematischen Anliegen „praktisch fernhalten“ sollten? Wir hoffen, dass hier ein Missverständnis besteht. In jedem Fall ist jedoch eine unterstellte Nähe zu Rechtsextremismus ein klarer Angriff auf das Ansehen der Betroffenen, der von den eigentlichen Inhalten, für die wir uns einsetzen, ablenkt. Solch ein Vorgehen widerspricht einem fairen, demokratischen Umgang miteinander.

Ihre Behauptung, dass alle Corona-Demos per se „von Rechten“ dominiert seien, ist schlicht falsch. Richtig wäre vielmehr, dass die links-liberalen Parteien im parlamentarischen Diskurs dieses wichtige Thema der AfD überlassen. Es fand und findet diesbezüglich leider keine nennenswerte Oppositionsarbeit statt. Das ist aus unserer Sicht sehr bedenklich und spielt in der Tat der AfD in die Hände. Das ist es auch, was rechtsoffene Versammlungen befördert, Räume für „rechte Sichtweisen“ öffnet und den gesellschaftlichen Diskurs „immer weiter nach rechts“ verschiebt – wie Sie zurecht besorgt feststellen. Das ist es, was dazu führt, dass sich Menschen von unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung abwenden, weil Sie keine Klammer für ihre legitimen Fragen, Sorgen, Nöte und Kritik zur Pandemie-Politik finden. Denn auch weite Teile der etablierten Medienlandschaft vernachlässigen es leider bisher, Räume zu öffnen für eine fundierte, grundsätzliche Corona-Maßnahmenkritik.

Aus alldem zu schließen, jeglicher außerparlamentarische Protest stünde automatisch der AfD oder sonstigen rechten oder undemokratischen Milieus nahe, ist ein logischer Fehlschluss und trifft auf uns sicher nicht zu. Dass der Charakter unserer Demos links-liberal einzuordnen ist, ist offensichtlich. Schauen Sie sich gerne nochmal unsere Homepages an (Links siehe unten), und hören Sie sich die Redebeiträge auf unseren Kundgebungen sowie den Applaus der Teilnehmenden für unsere oft linken Redner:innen an. Auch Konservative oder bisher Unpolitische sind uns aber willkommen. Wenn Sie diesen überparteilichen

Ansatz unserer Bürgerrechtsbewegung als ein „Anbiedern an rechts“ uminterpretieren, dann diskreditieren Sie all die Menschen, die aufgrund der Maßnahmen in großer Sorge um ihre Kinder, Enkel, die Älteren, Existenzen oder um den gesellschaftlichen Zusammenhalt auf die Straße gehen. Und für diejenigen, die aufrichtig auch um unsere freiheitlich demokratische Grundordnung und den demokratischen Meinungsbildungsprozess besorgt sind, bewahrheitet sich durch Ihre Vorverurteilungen, dass ein demokratischer Diskurs über die weitreichenden Corona-Grundrechtseinschränkungen allzu oft bereits im Keim erstickt wird.

Wir grenzen uns immer wieder deutlich von faschistischen, rassistischen, antisemitischen, sexistischen und jeglichen weiteren extremistischen Positionen und Gruppierungen ab. Wir verurteilen JEDE Form von gesellschaftlicher Ausgrenzung oder Abwertung, ob aufgrund der sexuellen Orientierung, der Herkunft, der Religion, des Aussehens, des Bildungsgrades, des Reichtums oder des Impf-Status. Denn all diese Ausgrenzungen führen zu Leid und Spaltung. Dabei behaupten wir weder, wie Sie es womöglich angedeutet haben, eine Gleichheit noch behaupten wir eine bestimmte Hierarchie des Leids. Auch die Forderung nach einem gesellschaftlichen Aufarbeitungsprozess ist keine Gleichsetzung unserer (momentan durchaus beschädigten) Demokratie mit den von Ihnen genannten Beispielen diktatorischer Systeme. Einen Prozess der Aufarbeitung halten wir dennoch für dringend erforderlich – und wir alle können und sollten jetzt im Frühjahr und Sommer 2022 aktiv dazu beitragen.

Wir laden Sie daher ein, diesen Austausch als Anlass zu nutzen, sich nochmal vorurteilsfrei mit unseren Sachinhalten auseinander zu setzen. Wir freuen uns, wenn Sie ihrerseits überlegen und gern auch gemeinsam mit uns weiterdenken, wie wir als Gesamtgesellschaft die Spaltung zwischen einer „Mehrheitsgesellschaft“ und der großen Gruppe von uns Andersdenkenden, die nun über Monate hinweg diffamiert, marginalisiert und ausgegrenzt wurden, überwinden können?

Wir verbleiben mit freundlichen Grüßen und begrüßen einen weiteren Dialog!

Sonja Alefi (Unternehmerin), Claudia Oberbeil (Sozialpädagogin), Sabine Kaiser (Biologin), Jürgen Müller (Rechtsanwalt) & Pascal Schmidt (Industriemeister Elektrotechnik) vom „wir- gemeinsam-Bündnis“ (https://www.wir-gemeinsam-buendnis.de), München

Nele Flüchter (Sozialpädagogin), Nicole Reese (Juristin) & Tina-Maria Aigner (Schauspielerin)

von der „#friedlichzusammen“-Demo (https://friedlichzusammen.de), Berlin

Johanna Darmstadt (Ärztin) & Julia Kasicz (Lehrerin), Rathausdemo „Wir wollen alle wieder tanzen gehen! – Wir sind bunt und nicht braun!“ (https://www.rathausdemo.de), Hamburg