Tür 15

Als ein irgendwie neues Virus die Welt beschäftigte  

Wir denken gerne, dass wir mehr oder weniger allein auf der Welt sind. Auf jeden Fall das Recht haben – da ja die selbsternannt intelligentesten Primaten – die Regeln auf dieser Erde bestimmen zu dürfen. Die Regel „Sterben“ würden wir wahnsinnig gern abschaffen. Selbst am Lebensende darf oft nicht gestorben werden. Als junge Frau habe ich miterleben müssen, wie eine 90-Jährige im Pflegeheim – zwangsernährt und ans Bett gefesselt – jahrelang dahinvegetieren musste, weil ihre Tochter sie noch „rechtzeitig“ auf der Couch gefunden hatte, wo sie gerade dabei war, friedlich zu entschlafen. Das hat mich damals beschäftigt.

Als ein neuentdecktes Virus seinen Weg um die Welt antrat, beschäftigte ich mich erneut intensiv mit dem Thema Tod.
Anfangs wurde ja von Politikern und Medien mit allen Mitteln versucht, Horrorvorstellungen in die Köpfe der Menschen zu pflanzen, von qualvollen Erstickungstoden auf überfüllten Krankenhausgängen und anschließendem würdelosen Hineinschaufeln in stinkende Krematorien.
Kurz bekam ich einen Schreck, weil so wollte ich ja natürlich auch nicht sterben, vor allem jetzt noch nicht. Und ich wollte auch nicht, dass meine Lieben so sterben mussten.
Ich fragte in fachlichen Kreisen um Rat und erhielt die Antwort, dass, wenn es hart auf hart kommt,  bevor man also ersticken würde, ins künstliche Koma gelegt und somit sehr human in den Tod hineingleiten würde.
Okay. Also nicht qualvoll. Trotzdem ist man dann tot. Was heißt das für einen selbst? Man selbst bekommt es nicht mehr mit, da man ja tot ist. Also im Prinzip so wie schlafen, das bekommt man ja auch nicht mit und es ist egal, was vorher war und nachher sein wird, das Bewusstsein weiß es nicht. Okay.
Aber was ist mit den Angehörigen? Sie müssen damit leben lernen, ohne eine geliebte Person weiterzumachen. Das ist furchtbar, wirklich furchtbar und sehr schmerzhaft, das habe ich selbst erleben müssen. Aber es gehört zum Leben dazu. Passiert ständig irgendwo. Immer werden geliebte Menschen gehen, ohne dass man das möchte und ohne, dass man das steuern kann. Okay.

Für mich persönlich war somit die Befürchtung verschwunden und auch die Angst vor dem Virus nicht vorhanden. Und konnte auch durch noch so bemühte Medienberichte nicht hervorgezaubert werden.

Ohne diese Angst konnte ich allen folgenden politischen Beschlüssen, den überzogenen grundrechtsignorierenden Maßnahmen und der nicht enden wollenden Panikmache nur verständnis- und zunehmend fassungslos zusehen. Fassungslos vor allem deshalb, weil gefühlt alle Menschen mitmachten. Und viele sogar bereit waren, hemmungslos auszugrenzen. Ich durfte nicht mehr zum Bäcker, ich durfte nicht mehr (und darf immer noch nicht) zum Arzt, in der U-Bahn und beim Einkaufen wurde ich schief angeschaut oder offen anfeindet, mir wurde mit der Polizei gedroht, die meisten Geschäfte durfte ich ohnehin ohne Maske nicht betreten. Die Ausnahmen begann ich wertzuschätzen und dort gehe ich auch heute noch hin – die anderen meide ich.

Das steigerte sich dann noch mit der neuen gesellschaftlich verpflichtenden mRNA-Test-Injektion – es sei denn, man fand sich damit ab, öffentlich stigmatisiert und vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen zu werden – bis hin zu jener Abstimmung im Bundestag, wo es um die Einführung einer Impfpflicht für Alle ging.
Das war einer von zwei tiefen Abgründen, in die ich um Haaresbreite stürzte: Ich richtete mich seelisch darauf ein, nach Norwegen auszuwandern, allein und ohne finanzielle Sicherheit. Noch einmal von ganz unten anfangen, alles aufgeben. Die meisten Konformen bekamen davon nicht einmal etwas mit, aber für ein Fünftel der Gesellschaft stand ihr gesamtes Leben auf dem Spiel.

Es fällt mir immer noch sehr schwer, nachzuvollziehen, wie all die verheerenden Nebenschauplätze von der Allgemeinheit ignoriert werden konnten, nicht ernst genommen, hingenommen für eine politisch instrumentalisierte Solidarität – mit wem?

Waren das eben die Opfer, die man als Gesellschaft bringen musste, für ein hehres großes Ziel – welches denn eigentlich? Diese paar marginalen Kollateralschäden, die es halt dann gibt: Ein paar zerstörte Existenzen, sowohl wirtschaftlich als auch psychisch. Die Handvoll Kinder und Jugendliche, die man in Angst aufwachsen lässt, denen man ihre unbekümmerten Jahre raubt. Die paar wenigen überfüllten psychotherapeutischen Praxen und Behandlungsmöglichkeiten. Die Alten und Kranken –die „Vulnerablen“ –, die es irgendwie schon und irgendwie auch nicht zu geben scheint, weil man sie nirgends sieht. Weil sie zuhause sind, allein, oder einsam sterbend.

Wie konnte es dazu kommen, warum passierte all das, warum verhielten sich viel zu viele Menschen so gedankenlos und willig, den Nachbarn, den Kollegen, den Freund oder sogar Teile der Familie ins Abseits zu stellen, abzuwerten oder sogar als Menschen zu negieren?  
Weil ein irgendwie neues Virus die Welt beschäftigte. Wegen des Nicht-Vertrauens in den eigenen Körper, in den Lauf der Natur, in den gesunden Menschenverstand. Wegen der Angst vor dem Tod, wegen der Angst vor Verlust, wegen der Angst vor Veränderung, wegen der Angst, selbst ausgegrenzt zu werden. So versuche zumindest ich mir das Unerklärliche irgendwie zu erklären.

Aber: Gibt es irgendjemanden, der ernsthaft glaubt, dass wir Menschen die Regeln dieser Erde bestimmen könnten?

Inga Oberbeil