Tür 5

Unsere 5. Adventsgeschichte

Es regnet. Da liegt diese FFP-2-Maske auf dem nassen Gehsteig. Sie ist dreckig. Bestimmt sind schon mehrere Menschen darübergelaufen. Der Anblick widert mich an und doch ist es genau das, wonach ich gesucht habe. Ich bin schwanger und mit meinem zweijährigen Sohn unterwegs. Nirgendwo kommt man rein, ohne eine FFP-2-Maske und ohne seinen Impfstatus herzuzeigen. Und ausgerechnet die Maske habe ich vergessen. Oder absichtlich nicht mitgenommen? Ich hasse diese Dinger. Wenn man sie neu aus der Packung nimmt, stinken sie und wenn sie nicht mehr neu sind, stinken sie auch. Ich kann sie keine Minute am Stück aufhaben, ohne sie wegzuziehen und Luft zu holen. Als sie Pflicht wurden, habe ich mir gesagt: also mich wird niemand zwingen, diese Dinger zu tragen. Und dann bin ich in meinen Lieblingsbaumarkt immer ohne Maske reingelatscht. Einmal, zweimal – beim dritten Mal hat mich ein Mitarbeiter angesprochen und ich habe mit ihm diskutiert. Und ich habe verloren. Zum Geschäftsführer wollte ich dann doch nicht zitiert werden. Kurz darauf bin ich in ein Spielzeuggeschäft gegangen – mit normaler Maske. Die Verkäuferinnen – alle selber mit normaler Maske, statt FFP2-Maske – nötigen mich eine FFP2 vor Ort zu kaufen. Die Erzieherin in der Krippe bettele ich an, doch die Masken abzusetzen, wenn die Kinder und sie unter sich sind. Damit es die Kleinen nicht ängstigt. Aber die Erzieherin hat Angst von den Kindern verpetzt zu werden – von Dreijährigen. Dann die Nachbarin, die mit ihrer zweijährigen Tochter zu Besuch kommt. Die Tochter trägt eine fröhlich-bunte Maske, weil sie Schnupfen hat.

Wer nicht mitmacht, gehört nicht dazu. Ich bin eigentlich ein rebellischer Geist, aber auch ich werde zum Masken-Opportunist. Beim Reingehen in den Laden setze ich sie auf und zwischen den Reihen nehme ich sie runter.

Aber dann bin ich am anfangs erwähnten regnerischen Tag mit meinem kleinen Sohn unterwegs und er hat Hunger und Durst und ihm ist kalt, und alles was ich mit ihm machen wollte – Bücherei, Schuhladen, Café – geht nicht, weil ich keine Maske dabei habe. Bei jeder Tür, an der wir vorbeifahren, fragt er, ob wir reingehen und ich sag immer “Schatz das geht leider nicht, weil…”. Ich will ihn von dem Ganzen fern halten. Ich weiß nicht, was ich ihm sagen soll. Ich lure in Reformhäuser und Supermärkte, in denen ich sicher eine Maske kaufen könnte, aber nicht mal ein paar Schritte wage ich unmaskiert einzutreten.

Ich tu so, als ob ich mir die Schuhe binden muss und beuge mich tiefer, um die auf dem Boden liegende Maske näher anzuschauen. Und dann nehme ich sie mir hastig und hoffe niemand hat mich gesehen. Ich steuere schnell das nächste Café an. Ich ziehe die tropfende Maske aus der Manteltasche, ziehe mir ein nasses Gummiband über ein Ohr, und rieche den anderen Menschen, der sie getragen und dann verloren hat. Als ich das andere Gummiband über das Ohr ziehen will, würgt es mich und ich reiße sie wieder runter. Das Gequengel meines Sohnes wird immer lauter, der jetzt endlich rein will. Also reiße ich die Tür auf, gehe unverhüllt hinein. “Mama, du hast keine Maske auf” quakt mein Sohn. “Ich kriege keine Luft!”, herrsche ich ihn an. Keiner will sich an dieser Auseinandersetzung beteiligen und somit setze ich mich einfach hin. So einfach. So einfach wie vor zwei Jahren.

Wir essen, trinken, wärmen uns auf. Beim Zahlen ziehe ich unabsichtlich wieder die Maske aus der Tasche und quälende Scham macht sich in mir breit. Was für ein Vorbild bin ich eigentlich meinen Kindern gegenüber. Was sollen sie lernen? Was sollen sie von mir denken?

Und seitdem habe ich mir fest vorgenommen, keine Maske mehr aufzusetzen. In der U-Bahn habe ich das auch bis heute so durchgezogen. In Geschäften hatte ich nicht immer die Kraft dazu. Und nicht EINE Person hat mich jemals darauf angesprochen. Bis heute. Sicher, dass ich über die Monate immer kugeliger geworden bin, mag mich zusätzlich geschützt haben. Vor allem aber, weil sich der Zeitgeist geändert hat. Und plötzlich gehört man wieder dazu.

Anonym (uns bekannt)