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Tür 6

Christofs Adventsgeschichte

MASKE und MENSCHEN im ÖPNV (Bayern, Ende November 2022)

MOTTO: Je weniger die MASSNAHMEN werden, umso schmerzlicher wird bewusst, wie schlimm es war. Umso zorniger wird man auf die, die noch mitmachen. Ist das fair?

Die POLITIK: Laut 17. Bayerischer Infektionsschutzmaßnahmenverordnung gilt die Pflicht zum Tragen einer medizinischen Gesichtsmaske in Verkehrsmitteln des öffentlichen Personennahverkehrs noch bis 9. Dezember 2022. Zugleich hat Ministerpräsident Söder wegen gesunkener Inzidenzen das Auslaufen der ÖPNV-Maskenpflicht in Aussicht gestellt, worüber breit berichtet wird.

Die FRAGESTELLUNG: Wie gehen die Fahrgäste mit dieser Übergangs-Situation um, nachdem ihnen zweieinhalb Jahre lang gegen jede Erfahrung und Evidenz die Bedeutung des Tragens von Masken im Alltag eingebläut wurde; und angesichts dessen, dass praktisch alle sich die Maske beim Aussteigen aus dem Gesicht reißen und privat auch auf dem überfülltesten Christkindlmarkt keine tragen, ihnen die Maske also unangenehm ist und unnötig erscheint?

BEOBACHTUNGEN und TYPEN:

Die SZENERIE: Die Durchsagen in den Zügen zur Einhaltung der Maskenpflicht sind seltener geworden und kommen meist vom Band. Persönliche Durchsagen des Zugpersonals sind meist gequält und bemühen witzige Umschreibungen.

Trotzdem tragen fast alle GLEICHGÜLTIGEN oder OBRIGKEITSHÖRIGEN Fahrgäste eine Maske, die meisten FFP2. Von angeheiterten Gruppen abgesehen, gibt es nur vereinzelte Fahrgäste, die keine Maske tragen, wobei fast alle schnell eine aufsetzen, wenn Bahnpersonal kommt, und nur wenige sich dieser Begegnung unmaskiert aussetzen.

Die UNNACHGIEBIGE Mutter herrscht ihr schwer atmendes Kind, das seine Maske unter das Kinn geschoben hat, noch kurz vor dem Aussteigen in der S-Bahn an, die Maske aufzusetzen, nachdem sie eine Frau gesehen hat, die keine trägt und das Kind angelächelt hatte.

Der WIRRE alte Mann trägt eine schmuddelige Maske schlecht über seinem ungepflegten Bart. Er schaut gehetzt, leidet offensichtlich. Dann geht er zu einem Maskenlosen, stellt sich viel zu nah zu ihm und fragt lächelnd, ob der denn keine Maske aufsetzen wolle. Und bietet, als der Maskenlose nicht reagiert, ihm eine offensichtlich gebrauchte Maske an. Und steht verloren da, als der andere weggeht.

Die FREMDMUTIGE maskierte Reisende sucht beim Aussteigen die Nähe von Maskenlosen, um etwas Nettes zu sagen. „Ein Reißverschluss  an Ihrem Rucksack ist offen.“ „Typisch Deutsche Bahn: Grund für die technische Störung ist eine technische Störung!“ Will sie zeigen, dass sie keine Angst vor Maskenlosen hat, diese akzeptiert und gut findet, was sie machen, auch wenn sie selbst es sich nicht traut?

Der MUTIGE Anzugträger ist mit Maske am Handgelenk in die S-Bahn eingestiegen, unklar, ob er vergessen hat sie aufzusetzen oder einem widerständigen Impuls folgte. Dann kommt die Durchsage zur Maskenpflicht und er greift gehorsam nach der Maske. Da sieht er eine Frau, ebenfalls im Business-Kostüm, ohne Maske – und hält unschlüssig inne. Die Frau lächelt ihn an, ewige Sekunden ringt er mit sich. Schließlich steckt er die Maske in die Tasche und stellt sich in den Gang, wo auch die Frau steht, schaut sie aber nicht an.

Variation: Ein noch UNSCHLÜSSIGER jüngerer Mann setzt über die Strecke von fünf S-Bahn-Stationen angesichts eines maskenlosen Paares seine Maske dreimal ab und wieder auf.

Die ihre MASSNAHMENBETEILIGUNG AUFARBEITENDEN Schaffner sagen die Maskenpflicht zwar launisch bei Fahrtbeginn durch, gehen dann aber, selbst nur mit medizinischer Maske, demonstrativ heiter durch die Gänge. Und halten die Maskenlosen nicht nur nicht zum Maskentragen an, sondern steigern für sie ihre Freundlichkeit: „Ich wünsche einen guten Appetit“, „Ich schließe gleich die quietschende Tür, damit Sie nicht gestört sind“, „Diese Toilette ist in keinem guten Zustand, gehen Sie in die andere Richtung“. Schämen sie sich, weil sie eine sinnlose Vorschrift umsetzen müssen und in der Vergangenheit unnachgiebig umgesetzt haben? Bauen sie über zweieinhalb Jahre aufgebaute Spannungen ab? Freuen sie sich über vernünftige und mutige Menschen und machen sich über alle lustig, die Angst vor ihnen haben und den Unsinn noch mitmachen? Wollen sie ihre Würde wiedergewinnen und etwas wieder gutmachen?

Die GEDEMÜTIGTEN Jugendlichen tragen akkurat ihre FFP2-Maske auch im leeren Zug, halten sich dahinter wie verschanzt, oft unter Kopfhörern oder absorbiert von Handy oder Buch. Obwohl sie die Maske außerhalb des Zuges nicht tragen, tun sie es jetzt – nicht aus Überzeugung und nicht aus Feigheit, sondern aus Verstörung und zum Schutz ihres Rests an Würde. Zweieinhalb Jahre lang wurden ihnen mit irrwitzigen Maßnahmen ihre wichtigsten Jahre gestohlen. Jahre, in denen sie sich mit nahbaren Autoritäten hätten auseinandersetzen sollen, das aber durch eine moralisch aufgeladene Unterdrückung ihrer elementaren Freiheitsimpulse nicht konnten. Also haben sie sich distanziert von ihren eigenen Gefühlen und von der Erwachsenenwelt.

Wenn deswegen MASSNAHMENKRITISCHE Erwachsene von den Jugendlichen Widerstand fordern, ist das genauso eine Zumutung, weil diese sie auch nicht verstehen, wenn sie ihnen nicht sogar mit globalen Theorien noch mehr Angst machen vor der Welt und der Zukunft. Was will also dieses maskenlose Paar mittleren Alters, das in den Fight mit den drei S-Bahn-Security-Leuten gegangen ist, nachdem eine von denen (die zwei anderen hatten es ignoriert) auf die Maskenpflicht verwiesen hatte? Okay, das Paar hat sich durchgesetzt, nachdem es wutentbrannt die schon wieder losfahrende S-Bahn verlassen wollte und in der Tür eingeklemmt war, woraufhin alle drei Security-Leute abgewiegelt und nur auf ihre Pflicht verwiesen und dann das Weite gesucht haben. Aber musste das Paar sich dann zu uns, einer Gruppe von acht Jugendlichen umdrehen und uns Feigheit („habt ihr keine Eier in der Hose“) vorwerfen, weil wir unsere Masken nur wegen der Kontrolle aufgesetzt hatten, wie der gesamte Waggon mit nächtlichen Nachtschwärmern? Was wollen die denn? Wir haben das alles so satt und haben nur schwach zurückgepöbelt, manche von uns sogar die runtergeschobenen Masken wieder hochgezogen und das Coronaleugner-Paar dazu aufgefordert. Dann sind wir ausgestiegen, standen auf dem Bahnsteig und fühlten uns angepisst.

Euer Christof