Chronik Finale 16

Impfpflicht? Zwischen zwei Abstimmungen – # 16 – Eine Corona-Chronik zu Wissenschaft, Kommunikation und Politik in einer zerrissenen Gesellschaft

Am Dienstag,30. November 2021, hatte sich der noch zukünftige Bundeskanzler Olaf Scholz auf dem letzten von Angela Merkel geführten Bund-Länder Treffen für eine allgemeine Impfpflicht ausgesprochen und zugleich angekündigt, dass bei der zukünftigen Abstimmung im Bundestag dafür der Fraktionszwang entfallen solle. Am Freitag, 10. Dezember 2021, hatte der Bundestag den Gesetzentwurf von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, der eine Impfpflicht für Gesundheits- und Pflegepersonal („einrichtungsbezogene Impfpflicht“) ab 15. März 2022 beinhaltete, verabschiedet (hier: „Erste Abstimmung“).

Die Impfpflicht für Gesundheits- und Pflegepersonal ist wie vom Bundestag beschlossen in Kraft getreten. Das von Olaf Scholz forcierte Gesetzesvorhaben zur allgemeinen Impfpflicht ist am Donnerstag, 07. April 2022, im Bundestag gescheitert (hier: „Zweite Abstimmung“)

#Wir haben die Zeit „zwischen den Abstimmungen“ dokumentiert, mit dem30. November 2021 als Startpunktund dem12. April 2022 als Endpunkt.Diese Monate haben in derGesellschaft tiefe Spuren hinterlassen und waren vielleicht doch nur der Anfang. Sicher scheint, dass diese Zeit von der Nachwelt aufgearbeitet werden wird. Insofern sollte die Chronik dazu beitragen, den Überblick in der Gegenwart zu behalten und eine Rückschau zu unterstützen. Zu welchem Urteil die Historiker wohl kommen werden?

#Wir haben die Ereignisse systematisch anhand folgender Dimensionen beleuchtet

  1. Wissenschaftliche Erkenntnisse und Thesen
  2. News von Pharma/Biotech und Fachbehörden
  3. Kommunikative und mediale Höhepunkte
  4. Politische Entscheidungen und Maßnahmen
  5. Juristische Prozesse und Entscheidungen
  6. Gesellschaftlicher Diskurs und Reaktionen

#Wir sind zu zweit, weiblich, akademisch und beruflich qualifiziert in biomedizinischer Forschung und Industrie, in Politikwissenschaft, Ökonomie und Journalismus. Wir strebten nach einer ausgewogenen Darstellung derjenigen Ereignisse, die wir aufgegriffen haben. Wie in einer Chronik üblich, oblag die Auswahl den Chronisten.

Die Chronik findet sich on-line bei dem wir-gemeinsam Bündnis https://wir-gemeinsam-buendnis.de/chroniken/ sowie bei Eltern für Kinder e.V. http://elternfuerkinder.de/Corona-Chronik/, es können jeweils auch die vorherigen Einträge heruntergeladen werden. Zudem auf Medium https://medium.com/@sabine.kaiser .

Es folgt Chronikeintrag #16, abschließend für die Zeitspanne vom 07.04.2022 bis zum 12.04.2022. Der Gesetzesvorschlag zur allgemeinen Impfpflicht ab 18, zuletzt verpackt in einen angeblichen „Kompromissvorschlag“, ist im Bundestag gescheitert, ebenso der Antrag auf Rücknahme der einrichtungsbezogenen Impfpflicht, diese bleibt also in Kraft. In der zerrissenen Gesellschaft sorgt das Ergebnis für Euphorie bei den einen und Entsetzen bei den anderen. Letztere tragen weiter Masken, jetzt freiwillig, und haben Angst vor dem Virus, in aktueller und abstrakter Form, der möglichen gefährlichen Variante der Zukunft.

Chronikeintrag #16 am 12.04.2022

  1. Wissenschaftliche Erkenntnisse und Thesen

Eine negative Impfeffektivität im Zusammenhang mit Omicron, wie andernorts beobachtet, wird in Deutschland nicht ausgewiesen werden. Laut RKI im Wöchentlichen Lagebericht vom Donnerstag, den 07.04.2022 lag die Impfeffektivität bei Kindern 0-11 zwei Wochen hintereinander bei Null Prozent (siehe Seite 30, Symptomatische Infektionen bei Kindern.)  https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Wochenbericht/Wochenbericht_2022-04-07.pdf?__blob=publicationFile ).

Dies mag merkwürdig erscheinen. In einer xls. Datei (nicht im Lagebericht) findet sich jedoch die Erklärung: „bei niedriger Effektivität kann es insbesondere bei niedrigen Fallzahlen zur Berechnung von negativen Werten kommen, diese werden mit 0 ausgewiesen“.  https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Daten/Impfeffektivitaet.html Die Wahrheit, die nicht erwünscht ist, wird also nicht gezeigt. Auch dieser Hinweis im Übrigen wieder vom „Subjektiven Studenten“, am Sonntag, den 10.04.2022. https://t.me/dersubjektivestudent/110

  • Pharma/Biotech und Fachbehörden

Am Abend des Mittwochs, 06.04.2022, wird von der EU-Arzneimittelbehörde EMA bekanntgegeben, dass sie keine vierte Corona-Impfung für alle Bürger empfiehlt (sie gilt bereits für immunschwache Patienten): Für Erwachsene ab 60 Jahren mit einem normalen Immunsystem gebe es zurzeit keine schlüssigen Beweise, dass der Impfschutz gegen eine schwere Erkrankung abnehme und dass eine vierte Dosis einen Mehrwert habe. .https://www.tagesschau.de/newsticker/liveblog-coronavirus-mittwoch-299.html#Impfung

Der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach hatte sich hingegen erst kürzlich in Brüssel für eine vierte Corona-Impfung für alle ab 60 Jahren eingesetzt und darauf gedrängt, diese Empfehlung solle die EU-Kommission „innerhalb kürzester Zeit auf Basis wissenschaftlicher Expertise erarbeiten (s. Chronik #14, Seite 5).

Die ablehnende Argumentation von EMA und ECDC (European Centre for Disease Prevention and Control) beruht u.a. auf der postulierten, anhaltenden Wirksamkeit von Erstimpfungen in Kombination mit hybrider Immunität durch zusätzliche Infektionen als Schutz vor schweren Verläufen, den ohnehin eher harmlosen, derzeitigen Verläufen bei Omciron und den hinsichtlich der Notwendigkeit eines zweiten Boosters nicht überzeugenden Daten aus Israel. https://www.ecdc.europa.eu/en/news-events/ema-ecdc-statement-fourth-covid-vaccine-dose

Die mRNA Impfdosen stapeln sich jetzt schon in bundesdeutschen Lagerstätten und etliche davon dürften in nächster Zeit ihr Verfallsdatum erreicht haben. Die Nachfrage nach weiteren Boostern oder gar Erstimpfungen ist aktuell allerdings marginal, dadurch werden sich die Lager nicht leeren.

Unterschiedliche Zahlenangaben kursieren – laut tagesschau.de am Samstag, den 09.04.2022 hat der Bund zum Stichtag 04.04.2022 77 Millionen Dosen Corona-Impfstoff auf Lager. Bis Ende Juni würden mehr als 10 Millionen Dosen ihr Verfallsdatum erreichen, im dritten Quartal seien es 50 Millionen. Dabei hatte man die deklarierte Haltbarkeit der mRNA Impfstoffe bereits schon von sechs bzw. sieben auf neun Monate verlängert – vielleicht wird man ja auch noch eine längere Haltbarkeit beschließen können. https://www.tagesschau.de/newsticker/liveblog-coronavirus-samstag-369.html.

Laut Politikstube stehen 100 Millionen Impfdosen vor der Vernichtung, das Gesundheitsministerium scheine keinen Überblick über die Zahlen zu haben. Jedenfalls müssten diese Impfdosen bis Ende des Sommers verbraucht werden, sonst drohe die Entsorgung. https://politikstube.com/gesundheitsministerium-bleibt-auf-ueber-100-millionen-impfdosen-sitzen/

Damit aber nicht genug. Am Freitag, den 08.04.2022 berichtet BioNTech, dass das Unternehmen einen sogenannten „Pandemiebereitschaftsvertrag“ mit der Bundesregierung abgeschlossen habe. https://investors.biontech.de/news-releases/news-release-details/biontech-granted-pandemic-preparedness-contract-german-federal  BioNTech werde Produktionskapazitäten für die Herstellung von jährlich 80 Millionen Impfstoffdosen für die nächsten fünf Jahre vorhalten. “Es weist immer mehr darauf hin, dass virale Pandemien noch über Jahre hinweg eine Herausforderung für die öffentliche Gesundheit darstellen wird. Dieser Rahmenvertrag mit der deutschen Regierung wird die Lieferung von Impfstoffdosen sicherstellen, um so potenzielle Gefährdungen für die öffentliche Gesundheit bis 2027 zu adressieren”, so Sean Marett CCO bei BioNTech. Die Börse liefert umgehend die entsprechende Wertschätzung für diesen erfolgreichen „Deal“ von BioNTech https://www.anlegerverlag.de/biontech-wird-langfristiger-partner-deutschlands-bis-zu-80-millionen-impfstoffdosen-jedes-jahr/

Aber auch die zweite bekannte, deutsche mRNA Firma wird bedacht: Am Montag, den 11.04.2022 berichtet CureVac, zusammen mit dem britischen Pharmakonzernpartner GlaxoSmithKline, mit der Bundesregierung ebenfalls solch einen Vertrag zur Pandemievorsorge geschlossen zu haben. Auch hier geht es um die Zusage zur Bereitstellung von Produktionskapazität für mRNA basierte Impfstoffe, „im Anschluss an eine maximal zweijährige Qualifizierungsphase“, dafür bis 2029, in Höhe von jährlich bis zu 80 Millionen Impfdosen. Diese Meldung wiederum honoriert die Börse an dem Tag nicht. https://www.finanzen.net/nachricht/aktien/vertrag-mit-bundesregierung-curevac-aktie-faellt-curevac-und-gsk-an-deutscher-pandemievorsorge-beteiligt-11229438

Und nicht genug: Mit dem Münchner Unternehmen Wacker Chemie und dessen Partner Corden Pharma (Teil der Firmengruppe ICIG – International Chemical Investors Group https://www.cordenpharma.com/about-us/icig) erhält ein weiteres Firmenduo, das bisher im mRNA Geschäft noch weniger prominent in Erscheinung getreten ist, den Zuschlag für einen Pandemievorsorgevertrag. Wacker Chemie wird den Standort in Halle als „Kompetenzzentrum für die mRNA-Produktion ausbauen“, in den nächsten Jahren sollen mehr als 80 Millionen Euro im Jahr investiert werden.

Und auch im Vertrag von Wacker Chemie und Corden Pharma mit der Bundesregierung geht es wieder um 80 Millionen – 80 Millionen Impfdosen, die das Unternehmen ab 2024 „bei Bedarf“ jährlich zur Verfügung stellen könnte, mit der Option zur Erhöhung auf 100 Millionen. https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/bundesregierung-schliesst-vertraege-mit-biontech-curevac-und-wacker-17951860.html

Die Höhe der für diese umfassende Vorsorge jährlich vom deutschen Steuerzahler an die Firmen jeweils zu zahlenden Bereitstellungsgebühren wird nicht kommuniziert. Ebenso wenig wird die Frage aufgeworfen, ob sich zukünftig wohl die Abnehmer dafür in Deutschland werden finden lassen. Das wird von der Qualität entsprechender möglicher, zukünftiger viraler „Bedrohungen“, weiteren Erkenntnissen zum Nebenwirkungsprofil der mRNA Impfungen und der jeweiligen „Kommunikationskampagne“ bzw. zukünftigen Regelungen zur Impfpflicht abhängen. Verhandelt wurden die Verträge, als noch von einer zukünftigen, allgemeinen Impfpflicht in Deutschland ausgegangen werden musste.

Pfizer betritt in Hinblick auf seine eigenen Vermarktungsstrategien bereits neue, innovative Wege. $74mio bietet Pfizer am Montag, den 11.04.2022 für die australische Firma ResApp Health, den Entwickler von KI (Künstliche Intelligenz)- basierten Screening Algorithmen auf dem Smartphone zur automatisierten Überwachung von Husten- und Atemmustern des jeweiligen Smartphone-Inhabers https://www.fiercebiotech.com/medtech/pfizer-drop-74m-covid-cough-screening-smartphone-app-developer In zukünftiger Zusammenarbeit mit Pfizer sollen diese Algorithmen für die COVID-19 Detektion weiterentwickelt werden. Erste Ergebnisse dahingehend liegen bereits vor, die Detektion erfolgt laut Firmenangaben bisher mit falsch-positiven bzw. falsch-negativen Fehlerquoten von 8-10%. Da wäre ja fast schon im „Detektionsfall“ eine automatische Bestellorder seitens der App für Paxlovid gerechtfertigt – für Pfizers „Therapieangebot“ zur Vorbeugung eines schweren Verlaufs bei einer COVID-19 Infektion, ggf. zukünftig mit Kostenerstattung im Rahmen eines Pandemievorsorgevertrages? Das wäre mit Sicherheit ein lukratives Geschäftsmodell.

  • Kommunikative und mediale Höhepunkte

Nachdem am Donnerstag, den 07.04.2022 die Einführung der allgemeinen Impfpflicht auch in ihrem „Ü60 Gewand“ des „Kompromissvorschlags“ (s.u.) im Bundestag gescheitert ist, bleibt dem Gesundheitsminister nichts, als seine Niederlage einzuräumen und mit der Schwarzmalerei umgehend fortzufahren. Es sei „eine schlechte Woche für den Schutz der Bevölkerung gewesen“, eine traurige Nachricht vor allem für Schwerkranke, im Herbst werde es wieder die Notwendigkeit für stärkere Schutzmaßnahmen geben, die Welle werde kommen, so der Minister laut tagesschau.de am Freitag, den 08.04.2022  https://www.tagesschau.de/inland/coronavirus-infektionsschutzgesetz-impfpflicht-101.html 

Spielraum für irgendwelche weiteren Lockerungen gäbe es im Übrigen nicht mehr. https://www.zdf.de/nachrichten/video/pressekonferenz-lauterbach-wieler-corona-100.html

Bundeskanzler Olaf Scholz schließt nach aktuellem Stand und per aktuellem Datum einen neuen Anlauf zur Corona-Impfpflicht zunächst aus: Die Aussage des Parlaments sei sehr klar gewesen, sagte er am Donnerstagabend, den 07.04.2022 in Berlin: „Es gibt im Bundestag keine Gesetzgebungsmehrheit für eine Impfpflicht. Das ist die Realität, die wir jetzt als Ausgangspunkt für unser Handeln nehmen müssen.“ Er werde jedoch alles dafür tun, trotzdem noch mehr Bürgerinnen und Bürger davon zu überzeugen, sich impfen zu lassen. Dafür gelte es nun, sich auf die Handlungsmöglichkeiten zu konzentrieren, die da seien.

https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/corona-impfpflicht-bundestag-bundeskanzler-scholz-lauterbach/

Auf diese Handlungsmöglichkeiten mag man gespannt sein. Gegeben die weiterhin kursierenden Schreckensszenarien und die Mär der Impfung als Lösung sowie die sich stapelnden Impfdosen „auf Vorrat“wird die Impfpflichtdebatte wohl nur vorübergehend vom Tisch sein.

  • Politische Entscheidungen und Maßnahmen

Bund

Dass die Impfpflicht im Bundestag am Donnerstag, den 07.04.2022 „auf ganzer Linie“ gescheitert ist, steht außer Frage. Die Süddeutsche Zeitung amFreitag, den 08.04.2022 formuliert wie folgt: „Nicht ab 18, nicht ab 50, nicht ab 60 Jahren: Nach einem quälend langen Gesetzgebungsprozess fällt im Bundestag jegliche Impfpflicht durch. Kanzler Scholz und Gesundheitsminister Lauterbach erleiden eine schwere politische Niederlage“.

Wie dieses Ergebnis letztlich genau zustande gekommen ist, ist schon weniger leicht zu beantworten. Jedenfalls blieb es spannend bis zuletzt, als um 12:43 am Donnerstag, den 07.04.2022 die Bundestagsvizepräsidentin das Scheitern des „Ü60 Kompromissvorschlags“ der „Gruppe Baehrens“ (Gesetzentwürfe der Gruppe Heike Baehrens, Dr. Janosch Dahmen und weiterer Abgeordneter und der Gruppe Dieter Janecek, Gyde Jensen und weiterer Abgeordneter zusammengeführten Entwurf eines Gesetzes zur Pandemievorsorge durch Aufklärung, verpflichtende Impfberatung und Immunisierung der Bevölkerung gegen SARS-CoV-2 (Drucksachen 20/89920/954 und 20/1353)) verkündet: 296 Ja-Stimmen, 378 Nein-Stimmen, 9 Enthaltungen. Die Abstimmung ist namentlich erfolgt, das Ergebnis findet sich hier: https://www.bundestag.de/parlament/plenum/abstimmung/abstimmung?id=767.

Unmittelbar danach lehnen die Abgeordneten den von der Unionsfraktion vorgelegten Antrag für ein Impfvorsorgegesetz (20/978) ab, bei 172 Ja-Stimmen, 496 Nein-Stimmen und neun Enthaltungen. Ebenfalls keine Mehrheit findet der  Antrag um Wolfgang Kubicki (20/680gegen die allgemeine Impfpflicht und für ein Beratungsmodell, mit 85 Ja-Stimmen, 590 Nein-Stimmen und zwölf Enthaltungen. Schließlich findet auch der von der AfD-Fraktion vorgelegte Antrag (20/516) gegen eine gesetzliche Impfpflicht und auf Rücknahme der Impfpflicht in der Pflege keine Zustimmung, mit 79 Ja-Stimmen und 606 Nein-Stimmen. 

So also das Ergebnis: kein Konsens, zu keinem der vorgeschlagenen Wege. Kurios am Procedere im Bundestag an dem Tag ist aber vor allem die Niederlage der Ampelkoalition bezüglich der Reihenfolge zur Abstimmung, also zur Geschäftsordnung. Entgegen gängiger Praxis, über den weitestgehenden Vorschlag zuerst abzustimmen, hätte die Ampelkoalition diesen, also den Gesetzesvorschlag der „Gruppe Baehrens“, zur Abstimmung ans Ende gestellt. Dieser „letzte Platz“ in der Abstimmungsreihenfolge erschien aber sowohl der „Gruppe Baehrens“ als auch der Union für ihren jeweils präferierten Vorschlag erstrebenswert.

Der Grund dafür: Die Hoffnung, dann Stimmen derjenigen Abgeordneten für den eigenen Vorschlag zu gewinnen, deren bevorzugte Lösung bereits durchgefallen gewesen wäre, und die nicht mit leeren Händen hätten nach Hause gehen wollen.

Der Start in den Sitzungstag erfolgte also mit dem Vorschlag der „Ampel“ zur Reihenfolge der Abstimmungen wie folgt: „AfD“ – „Kubicki“ – „CDU/CSU“ – „Baehrens“. Darüber bestand jedoch kein Einverständnis, die CDU/CSU stellte einen Antrag zur Geschäftsordnung mit einem eigenen, inversen Vorschlag zur Abstimmungsreihenfolge: „Baehrens“ – „CDU/CSU“ – „Kubicki“ – „AfD“.  Beide vorgeschlagenen Reihenfolgen wiesen im Übrigen eine fragliche Logik auf, da der AfD Antrag mit Rücknahme der Impfpflicht in der Pflege als „weitergehender“ hätte gewertet werden müssen als der Kubicki Antrag. Doch darum ging es nicht.

Nach von einem von allen Seiten sehr emotional vorgebrachten, angeblichem „Wort zur Geschäftsordnung“, im Wesentlichen ein Schlagabtausch zwischen „Grün-Rot“ und „Schwarz“, kam es zur Abstimmung, mit einem knappen, überraschenden Ergebnis: Der Vorschlag der CDU/CSU zur Abstimmungsreihenfolge erhielt mit 345 zu 339 Stimmen den Zuschlag, also gegen die Regierungsmehrheit.

An dieser Stelle war die eigentliche Entscheidung im Grunde bereits gefallen. Denn ein „Umfallen“ der CDU/CSU Parlamentarier zugunsten des Vorschlags der „Gruppe Baehrens“ war nunmehr quasi ausgeschlossen, da über diesen Gesetzentwurf ja bereits vor ihrem eigenen, präferierten Antrag abgestimmt werden musste – mit der theoretischen Hoffnung, für den eigenen Antrag im zweiten Schritt eine Mehrheit zu bekommen. Obwohl es so in der Realität nicht kommen konnte und nicht kam, denn für die „Gruppe Baehrens“ Anhänger war nach der eigenen Niederlage eine Zustimmung für den Gegenvorschlag ebenfalls undenkbar.

Aber war das Ergebnis tatsächlichnur das Resultat politischer Taktiererei und des Bestrebens der CDU/CSU, „der Ampel eins mitzugeben“ (Formulierung von Paula Piechotta, Grüne, in ihrem Redebeitrag)? Mit dieser Sichtweise gäbe es mit Friedrich Merz (CDU/CSU Fraktion) einen klaren Schuldigen und mancher in der „Gruppe Baehrens“ mag es so empfinden, zumindest mit Blick auf den Abstimmungstag an sich.

Solch eine Betrachtung würde aber die zentrale Rolle der „freiheitlichen“ Gruppierung um Wolfgang Kubicki (FDP, und andere, insbesondere Sarah Wagenknecht) verkennen, die früh ihren „nicht-Impfpflicht- Beratungsvorschlag“ vorgelegt hatte. Und auch die Rolle der FDP im Allgemeinen, die innerhalb der Ampelkoalition von Anfang an der „störende“ Faktor war. Alle Bundesminister der FDP stimmten dementsprechend auch gegen den „Gruppe Baehrens“ Vorschlag.

Die gegen die allgemeine Impfpflicht Votierenden wurden gestützt in ihrer Position bzw. dazu veranlasst durch den mehrmonatigen Protest auf der Straße und all diejenigen, die die Argumentationsketten für eine Impfpflicht widerlegt und in jeglicher Hinsicht ad absurdum geführt hatten, sowie eine Unzahl von Argumenten und Evidenzen gegen solch eine Pflicht erarbeitet und in die Öffentlichkeit gebracht hatten.

Viele, viele Einzelne und Gruppierungen hatten sich bundesweit dem medialen und staatlichen Druck entgegengestellt und ihre Argumente und ihre Ablehnung der Impfpflicht unermüdlich vorgebracht – unter Nutzung aller medialer Formen, inkl. offener Briefe und Petitionen, Blogs und Foren, der alternativen, sozialen Medien und neugeschaffenen Plattformen, künstlerischem Engagement (Musik, Video, Text) und eben des Straßenprotestes. Auch wenn zur Entscheidung am 07.04.2022 der Rückenwind der machtpolitischen Instinkte innerhalb des Bundestags für den Erfolg essentiell war – ohne diesen breiten, fundierten und dauerhaften Widerstand hätte sich die Möglichkeit zur Impfpflicht Ablehnung gar nicht erst eröffnet.

Ebenso würde man die Rolle der AfD negieren, die bei ihren Aussagen von vor der Bundestagswahl geblieben war und eine allgemeine Impfpflicht und die Impfpflicht in der Pflege durchgängig abgelehnt hatte. Bereits am 10.12.2021 hatte die AfD im Bundestag gegen die einrichtungsbezogene Impfpflicht gestimmt und jetzt die Rücknahme derselbigen im abgelehnten, eigenen Antrag konsequenterweise gefordert. Auf dieses Vorhaben wird man sehr bald zurückkommen müssen – es scheint kaum vorstellbar, dass bar jeglicher wissenschaftlicher Evidenz und Sinnhaftigkeit im Kontext der aktuellen Omicron Situation und des allgegenwärtigen, dramatischen Pflegenotstands die einrichtungsbezogene Impfpflicht weiter Bestand haben kann.

Dennoch – ein demokratischer Entscheidungsprozess sollte anders aussehen. Das Geschacher um eine „Kompromisslösung“ in letzter Minute war der Bedeutung des zu verabschiedenden, weitreichenden Grundrechtseingriffes unwürdig. Es bestand quasi keine Möglichkeit für die Abgeordneten, den relevanten Gesetzentwurf vor der Abstimmung detailliert gelesen und reflektiert zu haben, die Öffentlichkeit konnte den letzten Pirouetten nur rudimentär folgen. Im Gesundheitsausschuss am Vortag, am Mittwoch den 06.04.2022, hatten die Abgeordneten am Nachmittag zehn Minuten, um das erst tags zuvor zusammengeschusterte und im Laufe des Tages erneut geänderte Dokument durchzuwinken. Kaum genug, um den Text zu überfliegen.

Die Handlungsunfähigkeit der Regierung zu kaschieren durch die Nutzung des Gruppenantragsverfahrens, das nach einem zähen Prozess am Ende doch wieder zu einer Entscheidung an der Bruchlinie der Fraktionen führte, war ebenfalls für das Ansehen der parlamentarischen Gesetzgebungsprozesse nicht förderlich.

Dass Annalena Baerbock als Außenministerin vom NATO-Treffen für die Abstimmung zurückfliegen musste, nur um dann eine deutliche Niederlage zur Kenntnis zu nehmen, in der ihre Stimmabgabe völlig irrelevant war, kann zudem dem Ansehen Deutschlands in der Welt nicht geholfen haben. Eine sehr zweifelhafte Prioritätensetzung jedenfalls.

Die Beiträge im Rahmen der Aussprache spielten sich bei den Befürwortern des Antrags der „Gruppe Baehrens“ unverändert im faktischen Niemandsland ab. Das lässt nichts Gutes ahnen für weitere Entscheidungen. Auf die verschiedenen Varianten des „wer mit wem wann wie ernsthaft geredet hatte, oder auch nicht“, und den Versuch der moralischen Diskreditierung des anders Argumentierenden – mit Verstärkungstendenz im Fortgang der Debatte – hätte das Debattenpublikum sicher gerne verzichtet.

Im Folgenden die Zusammenfassung der Aussprachebeiträge im Bundestag in der Reihenfolge, wie gehalten. Vielleicht wird man zu einem späteren Zeitpunkt auf die „Argumente“ der einzelnen Protagonisten zurückkommen wollen:

Dagmar Schmidt, SPD, wirbt als erste für den Gesetzesvorschlag der Gruppe Baehrens: Gestern seien 340 Menschen an Corona gestorben, das sei viel zu viel, aber es scheine aufwärts zu gehen. Hier gehe es aber nicht um das, was ist, sondern um das, was mit hoher Wahrscheinlichkeit sein werde. Man müsse Vorsorge treffen, denn man werde wieder vor der gleichen Herausforderung für Gesundheitssystem und Infrastruktur stehen, falls die Impflücke nicht geschlossen wird, die Maßnahmen würden dann wiederkommen müssen und Long Covid könne man ohnehin noch nicht absehen. Hier trage man Verantwortung, und „liebe Union“, wenn man andere Ideen habe – Verhandlungen und Kompromiss sei der Weg der Wahl. Und der Kompromiss sei eben der eigene Vorschlag, mit zunächst einer Beratungspflicht und dann einer Impfpflicht für „Ü60W ab Herbst. Damit würde man Gesundheitssystem schützen und die Impflücke bei besonders Vulnerablen schließen. Eine Zwischenfrage aus der AfD lässt sie nicht zu. Im Herbst würde dann die Entscheidung über die 18-59jährigen fallen, mit einem einfachen Beschluss des Bundestags kann dann für alle die Impfpflicht verhängt werden. Putins Krieg werde weitere Folgen haben. Heute habe man die Chance, nicht auch noch mit Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung zurechtkommen zu müssen.

Nach der abgelehnten Zwischenfrage folgt die Kurzintervention von Thomas Ehrhorn, AfD: Er sei 63 Jahre alt und geimpft, gerade sei er krank gewesen, zwei Tage mit Fieber, habe Familienmitglieder angesteckt trotz Impfung. Im besten Falle habe diese Schutzwirkung für drei Monate, wenn überhaupt, das mache das Ganze absurd. Was hieße das also bei einer Zwangsimpfung – gebe das dann eine dritte, vierte, fünfte Impfung, niemand könne eine Zusage machen, was das mit meinem Körper machen werde, aber es sei klar, dass die Nebenwirkungen sehr schlimm sein könnten. Als Antwort dazu Dagmar Schmidt, sinngemäß: „Super, Sie haben die Impfpflicht erfüllt, zweimal geimpft und genesen, darum geht es, die Grundimmunisierung erlaubt den normalen Umgang mit dem Virus …“

Tino Sorge, CDU, gesundheitspolitischer Sprecher: Er dankt, für das was gesagt wurde, er könne es teilweise nachvollziehen und will selber auch einen normaleren Umgang. Er findet den Hinweis gut, dass man eine Mehrheit hätte finden müssen: mit dem eigenen Kompromissvorschlag der Union solle das möglich sein, deswegen handele es sich um einen ausgewogenen Vorschlag. Die Frage einer Impfpflicht ja/nein könne man nicht pauschal entscheiden, es sei ähnlich wie bei der Ehe, das könne man nicht pauschal mit ja/nein beantworten, die richtige Frau würde benötigt, es müsse passen. Momentan habe man glücklicherweise sinkende Inzidenzen, es gebe keine Überlastung des Gesundheitssystems, total unklar sei, was im Herbst sein werde, welche Variante es dann gäbe, welche Impfstoffe. Daher der Vorschlag der Union: erst mal: Impfregister jetzt als ersten Schritt aufbauen als Datengrundlage und Vorsorge. „Lieber Herr Kollege Gesundheitsminister“: Impfinfrastruktur (nicht) aufrechterhalten und gleichzeitig allgemeine Impfpflicht durch die Hintertür einführen– wie passt das zusammen?

Eine Zwischenfrag aus der Partei die Grüne lässt er zu, inhaltlich: Wie solle es gehen, erst im Herbst noch rechtzeitig eine Impfkampagne zu starten, vor einer Welle? Als Antwort dazu, und in seinem Beitrag fortfahrend Tino Sorge: Jetzt im großen Stil beraten zu lassen ist bürokratisch unsinnig, es geht ums Vorsorge treffen, Mechanismus jetzt in Gang setzen. Man wisse doch, dass Auswirkungen des Virus nach Altersgruppe unterschiedlich sind, jetzt alle zu impfen macht keinen Sinn. Ihn irritiere seit Wochen, dass man über Grundrechtseingriffe lapidar hinweggeht, in körperliche Unversehrtheit eingreifen will, er hätte erwartet, dass Güterabwägung und Argumentation klarer gemacht wird und im Parlament diskutiert würde. Eine pauschale Impfpflicht schützt nicht vor Überlastung, die es gerade gar nicht gibt. Es sei gar nicht bewiesen bzw. die Wissenschaft könne einfach nicht sagen, was im Herbst kommen würde. Jetzt würde gefragt, auf den letzten Metern, warum die Union nicht kompromissbereit sei? Weil wochenlang nicht gesprochen wurde! Es sei ein sehr komplexes Thema, Augenmaß sei nötig. Deswegen dieser tragfähige Kompromissvorschlag der Unionsfraktion. „Stimmen Sie uns zu!“ Um die Tür zur Versöhnung offenzulassen, die Debatte zu befrieden und die Polarisierung rauszunehmen.

Alice Weidel, AfD: Das Grundgesetz habe den Zweck, die Freiheitsrechte zu garantieren, darunter das Recht auf Leben und Unversehrtheit als letzte Verteidigungslinie. Wenn die Regierung sich anmaße, sich darüber hinwegzusetzen, sei das verfassungsfeindliches Handeln und totalitäre Anmaßung, es sei eine Entwürdigung des Individuums. Das Argument sei die kollektive Notwehr, angeblich: Du gefährdest mich mit deinem Körper, Du hast dein Recht verwirkt, ich zwinge Dich jetzt – aber ab wann stellt der Körper denn keine Gefahr mehr dar, ab der wievielten Impfung? Wer entscheidet das? Ärzte – die mit dem größten Wissen, die bereits betroffen sind von der Impfpflicht – kündigen in Scharen den Job. Es gehe um die Lust an der Verfügungsgewalt, mit dem Lockdown sei es bereits so gewesen, nach der Freiheit sei jetzt der Körper an der Reihe. Keiner der Wirkstoffe habe eine reguläre Zulassung in der EU. Von einem „Pieks“ zu sprechen sei eine Infantilisierung und Entmündigung. Der einzig rational nachvollziehbare Grund seien die Millionen Impfdosen, auf denen Lauterbach sitzt. Es handele sich um das Problem eines überforderten Gesundheitsministers. Es gebe keine belastbaren Zahlen – mittlerweile doppelt Geimpfte gelten als ungeimpft, wenn die letzte Impfung länger als 6 Monate zurückliegt. Zudem ein Zahlenchaos bei den Impfnebenwirkungen: es mehrten sich die Zeichen für dramatische Untererfassung bei gravierenden Nebenwirkungen, die Marburger Spezialambulanz für Impffolgen laufe über. Die Impfplicht ab 60 ist in Wirklichkeit ein trojanisches Pferd für die Impfpflicht für alle – „verlogener geht es nicht“!

Wolfgang Kubicki, FDP: Er kann gut nachvollziehen, dass Emotionen hochgehen, mit Adresse an „Kollege Sorge“. Aber man müsse aufpassen bzgl. einer sauberen Argumentation. Man müsse festhalten: Es gibt keine Herdenimmunität. Ungeimpfte sind nicht schuld an der Infektion anderer. Es gibt keine Überlastung des Gesundheitssystems. Welches Virus im Herbst kommt ist nicht klar. Verfassungsrechtlich sei es fraglich, Impfpflicht sei hier begründet als Selbstschutz und nicht Fremdschutz, es sei aber nicht Aufgabe des Staates den Selbstschutz zu erzwingen. Eine Debattenkultur solle zur besten Lösung führen, dazu müssten neue Erkenntnisse auch Revision erlauben. Delta führte zum Umdenken hin zu einer Impfpflicht. Omicron müsse jetzt auch wieder zum Umdenken führen. Geht es hier noch um Sachgerechtes oder um die politische Deutungshoheit? Der Ethikrat habe diese Woche eine bemerkenswerte Stellungnahme abgegeben: Lesen Sie die 161 Seiten! Wenn die von einer pandemisch auftretenden Infektionskrankheit ausgehenden Risiken unterhalb anderer Krankheits-/Infektionserfahrungen liegen, lasse sich das nicht mehr rechtfertigen – weder eine „ab 18“ noch eine „ab 60“ Impfpflicht.

Andrew Ullmann, FDP: Er hatte zunächst verantwortlich einen eigenen Antrag eingereicht, nunmehr als Verfechter des „Kompromissvorschlags“ der „Gruppe Baehrens“:  Das Ziel ist, Vorsorge zu treffen, keinen dritten Maßnahmen-Winter zu haben, frei zu sein, das System zu schützen, also den „Fremdschutz“ des Systems vor Überlastung zu gewährleisten. Man befinde sich in einem Entscheidungsdilemma. Wie die Welle aussieht weiß man nicht, es sei wie Wettervorhersage, aber sie werde kommen. Auch bessere Daten würden kommen, die werden wir berichten lassen. Was kann man tun um „Katastrophe im nächsten Winter“ zu vermeiden? Nichts machen sei keine Option, auch nicht, aus dem Bauch heraus Entscheidungen zu treffen. Man brauche wissenschaftlich fundierte Gegenmittel, die Impflücke müsse man schließen. Gute Reden brachten dahingehend bisher nichts. Eigentlich wollte seine Gruppe das mildere Mittel, die Aufklärung. Sie waren aber die kleinste Gruppe, Kontakte machen zu anderen hat nicht funktioniert. Am Ende wollten sie nicht mit leeren Händen dastehen, haben also den Kompromiss gesucht. Dieser sei in Teilen schmerzhaft, die eigene Idee sei besser gewesen, Danke an die Verhandlungsgruppe.  

Eine Zwischenfrage aus der AfD lässt er zu, dies sei „therapeutisch“, inhaltlich: als 72-jähriger Ungeimpfter sei er gut durchgekommen, habe vor drei Wochen für drei Tage Omicron gehabt, er ließ sich in Sachsen-Anhalt testen, habe gesehen, wie die Leute nach Impfung in schlechtem Zustand und behandlungspflichtig waren – krank – 0,4% der Leute die geimpft sind, seien mit dem Tode bedroht. Wie können Sie dann darüber noch sprechen? Ich fordere Sie auf, davon Abstand zu nehmen! Er will ein freiheitliches Land, er mache sich Sorgen, dass die Impfung ihn selbst umbringt, er werde es nicht machen lassen!  

Als Antwort dazu Andrew Ullmann: Beobachtung mit eigenem Körper ist nicht Wissenschaft. Er freue sich, dass der Fragesteller mit 72 die Infektion gut durchgemacht hat. Man spiele so aber Roulette/Poker. Die Impfpflicht sei ab 60, mit Scharfstellung Oktober. Sie haben eine Möglichkeit, auch wir, wenn es milder wird, dann setzen wir die Impfpflicht wieder ab im Bundestag, aber jetzt müssen wir es vorbereiten. Die Leute haben Angst vor der Impfung, die müssen aufgeklärt werden, nicht durch Threema, Facebook, TG, sms aus der AfD. Einfach behaupten, dass Impfung Freiheit zerstört ist blind. Erstmals in der Menschheitsgeschichte gibt es die Möglichkeit, damit eine Pandemie zu beenden und nicht durch Durchseuchung. Sie stellen Ihre Freiheit über die gesellschaftliche Verantwortung!

Dann bringt Andrew Ullmann sein eigentliches Statement zu Ende: In unserem Antrag steht Aufklärungspflicht an erster Stelle. Mit Weitsicht kommen wir vor die Welle. Es gibt eine Blaupause. „Liebe Union“reißen Sie die Mauer des Parteistolzes ein und lassen Sie Ihr Gewissen sprechen!

Nina Warken, CDU/CSU Fraktion: Wirrwarr sei entstanden mit den Gruppenanträgen, das war falsches Signal. An Herrn Lauterbach: Gemeinsam zu ringen, statt bei Markus Lanz zu sitzen wäre besser gewesen. Das Lavieren in den letzten Tagen war unwürdigwie beim Wechsel von ab 50 auf ab 60 „gerechnet“ wurde und eine Güterabwägung stattgefunden haben soll erschließt sich nicht. Die Union gehe aus guten Gründen nicht mit, nicht aus Parteitaktik. Der eigene Antrag sei der Einzige, der lage- und sachgerecht ist. Wer mildere Mittel wie Maskenpflicht auslaufen lasse könne heute keinen tiefgreifenden Eingriff verabschieden. „Nur ein Pieks“, aber das sei nicht lapidar, die Ampel habe sich selbst in Sackgasse der Rechtsunsicherheit manövriert. Die Impfung schützt vor schweren Verläufen; es gibt aktuell keine Überlastung, man müsse vorbereitet sein. Daher sei heute ein rechtssicheres Gesetz wichtig, also: der Impfmechanismus für Zukunft.

Eine Zwischenfrage aus der SPD lässt sie zu, inhaltlich: Explizite Wiederholung der vorherigen Frage des Abgeordneten der Grünen, die Tino Sorge nicht beantwortet habe. Was ist Vorsorge, wenn man nicht sicherstellt, dass man im Herbst nicht zu spät dran ist, weil man da anfängt, mit drei Impfungen, wenn im Herbst die Krankenhäuser schon voll sind – wie soll das Vorsorge sein, wenn die Leute erst geimpft sind, wenn die Welle rum ist?

Als Antwort dazu Nina Warken, sowie ihren Beitrag abschließend: Die Frage müssen Sie sich selbst stellen bzgl. Ihres Vorschlags. Tino Sorge hat es dezidiert dargelegt, den Antrag zu lesen würde auch helfen ihn zu verstehen. Am Ende hilft kein Gesetz, das von Karlsruhe wieder kassiert wird. Sie haben sich schwer getan mit dem Impfregister, das ist aus unserer Sicht essentiell. Dann kann man die Leute auch anschreiben, gezielt. Sie haben sich aus Datenschutzgründen lange gesträubt – man braucht das Impfregister, aber um vorbereitet zu sein. Und man braucht rechtssicheres Gesetz, sonst hilft es nicht.

Janosch Dahmen, B´90/Grüne, für die Gruppe Baehrens: An Nina Warken und Tino Sorge gerichtet – Demokratie besteht nicht aus einem wirkungslosen, halbfertigen Antrag, den man in den Raum wirft, und dann die Tür zuhält und das Telefon nicht beantwortet. Heute sei der Tag der Entscheidung. Der ihrige sei funktionierend, ein rechtssicherer, vernünftiger Vorschlag, Die Altersgrenze sei keinesfalls willkürlich, es gebe Evidenz. Impfpflicht ab 16 äh 60 erfülle zwei Ziele, sie schütze uns alle vor dem Corona Winter – bei den viele Krisen zugleich aktuell – am besten also jetzt Prävention, nach Flutkatastrophe und Energieabhängigkeit jetzt wenigstens hier Vorsorge treffen, man müsse heute handeln um Freiheit von morgen zu sichern, sie bringe uns raus aus der Pandemie. Es sollte keinen Fraktionszwang geben, die Union habe aber gewissenlos gehandelt, mit Brief an die eigenen Abgeordneten, der Virus der Parteitaktik töte das Vertrauen in parlamentarische Institutionen. Wir haben Verantwortung, „liebe Union“, auch Sie, besinnen Sie sich darauf, stimmen Sie für den Entwurf, der vorliegt

Martin Sichert, AfD: Ein echter Demokrat macht nach der Wahl was er vorher versprochen hat. Heute sehen die Bürger, wer die Demokraten sind, alle haben vorher versprochen, dass es keine Pflicht gibt, für die AfD ist Demokratie Grundlage des Handelns, sie werden ihr Versprechen halten und geschlossen dagegen stimmen. Es sei an der Zeit, all die Lügen zu beenden: Buschmann log bzgl. Ende aller Maßnahmen am 20.03; Lauterbach log Ende Oktober, dass es keinen Booster für alle brauche, drei Wochen später war der Booster da; Emilia Fester log, dass sie nicht im Ausland war, sie war in Dänemark; Olaf Scholz log, im Dezember, dass die Regierung nichts von schweren Nebenwirkungen erfahren habe, da waren aber schon 30.000 erfasst. Olaf Scholz sei gerade nicht da, sei wohl zu Beginn der Rede rausgegangen – „wollen Sie als Lügenkanzler in die Geschichte eingehen“? Die Lüge von Spahn war, dass die Impfung ordentlich zugelassen sei, die EMA prüft aber noch bis 2024, jeder nimmt an medizinischem Experiment teil, das darf niemals verpflichtend sein, steht in diversen Konventionen und das sollte jeder BT Abgeordnete aus Geschichte gelernt haben.

Für seinen Beitrag erhält Martin Sichert zwei Rügen von der Vorsitzenden, weil es zwei persönliche Angriffe gegeben hat: die „Bundestagsküken“ Bezeichnung für Emilia Fester, und dass er den Bundeskanzler in Person als Lügner bezeichnet habe.

Karl Lauterbach, SPD, Gesundheitsminister: Sehr viele zögerten, ob Impfpflicht nötig sei wegen milderem Verlauf. Omicron sei deshalb milder, weil so viele geimpft sind, wir wären jetzt in „lupenreiner Katastrophe“, in „völligem Lockdown“ wenn das nicht so gewesen wäre. Omicron – dafür brauche es noch 5-6 Mutationen – dann kann die Infektion tiefer in die Lunge gehen. Her Kubicki – Sie sollen nicht vortäuschen. Eine Zwischenfrage aus der AfD lässt er nicht zu. Selbst wenn nur Omicron im Herbst zurückkäme: 200-300 tägliche Todesfälle wie jetzt, wollen wir uns daran gewöhnen, das kann keine humane Gesellschaft sein. „Wir haben es in der Hand“, ich „appelliere an die Union“, „lassen Sie uns nicht im Stich“, „sagen Sie ehrlich was Sie wollen“, wir „brauchen heute ihre staatstragende Unterstützung“. „Zum Schluss die wichtigste Zahl: Heute 90% – „mit ab 60 verhindern wir 90% der Todesfälle, die man mit der Impfpflicht ab 18 hätte verhindern können.“

Nach der abgelehnten Zwischenfrage folgt die Kurzintervention von Christina Baum, AfD: Ich bin 66, Zahnärztin, ungeimpft, stehe im Sprühnebel, täglich, zwei Jahre uninfiziert, wer gibt Ihnen das Recht mich zu entmündigen, wie können Sie es mit Ihrem Gewissen vereinbaren, wenn sich Todesfolge durch Impfzwang ergibt, für mich oder andere?

Als Antwort dazu Karl Lauterbach: Er möchte erwidern – es sei immer wieder bestürzend, wenn KollegInnen aus der Medizin ihre Reputation nutzen, um etwas zu sagen, was von gesamter Wissenschaft der Welt in Abrede steht. Wir sind durch die Krise gekommen vertrauend auf die Wissenschaft, wir Ärzte sollten uns zuerst impfen lassen.

Max Lucks B´90/Grüne, für die Gruppe Kubicki: An die Kollegen aus den demokratischen Fraktionen des Hauses gewandt, also gegen die AfD – er halte es erforderlich, die Impflücke zu schließen, aber er selbst komme zur Abwägung gegen die Impfpflicht, als Freund und Verwandter, der um die Impfung jeder einzelnen Person gekämpft habe. Es gehe nur, wenn man den Druck rausnehme. Normativer Druck sei der falsche Weg, die Impfpflicht verspreche Pandemieende per Gesetz, das werde sich aber wohl nicht realisieren. Individuelle gesundheitliche Gründe könnten durchs Raster fallen, Ordnungshaft bliebe vielleicht doch nicht ausgeschlossen. Als Parlament haben wir mehr Spielräume als nur Ordnungsrecht, lassen Sie uns die nutzen, lassen Sie uns die Impfpflicht zu den Akten legen.

Paula Piechotta B´90/Grüne, für die Gruppe Baehrens: Es sei eine schwierige Entscheidung vor zwei Wahrheiten: niemand kann vorhersagen was im Herbst passiert und wir haben letzten und vorletzten Herbst verschlafen, das darf nicht nochmal passieren. Wir sehen heute in kondensierter Form, woran auch in den letzten Jahren die Vorsorge gescheitert ist: zerredet, Parteitaktik, dann ist es wieder zu spät, ich „lass beiseite den Stuss von rechts und das Bermudadreieck um Kubicki, Wagenknecht und Gysi“ – was die Union will steht doch bei uns. Die inhaltlichen Unterschiede sind so klein, die erlauben keine Nichtzustimmung. Sie ziehen sich daran hoch, an den wenigen Unterschieden, Sie, Herr Merz: Sie bitten Ihre Fraktion, den Impuls zu unterdrücken zuzustimmen, Sie wollen der Ampel eins mitgeben, Wüst, Holetschek, Daniel Günther: diese wollen die Impfpflicht. Sie geben nicht der Ampel eins in den Latz sondern denen.

Eine Zwischenfrage aus der CDU/CSU lässt sie zu, inhaltlich: Ich nehme an Sie sind keine Juristin, sondern argumentieren vom Herzen. Kennen Sie die verfassungsrechtlichen Unterschiede zwischen Pflicht und Voraussetzungen schaffen? Da liegen verfassungsrechtliche Dimensionen dazwischen, tun Sie nicht, als sei das Verfassungsrecht irrelevant. Als Antwort dazu und abschließend zu ihrem Beitrag Paula Piechotta: Sie entschuldigt sich, wenn Eindruck entstanden sei, dass sie Verfassungsgesetz ignoriere, das tue sie nicht. Alles sei aber ok mit dem Gesetzentwurf, die Fragerin dürfe sich nicht darauf zurückziehen. Das Gesundheitssystem müsse man schützen. Als Ärztin: sie will mehr Pragmatismus, nicht weniger, da lasse sie sich gerne vorwerfen.

Erich Ilstorfer, CDU/CSU Fraktion: Im Grundsatz sei man sich doch einig, man wolle die Pandemie besiegen. Es gebe die Möglichkeit, jetzt das Vorsorgegesetz zu beschließen. Er mag es nicht, wenn man hier so in die Glaskugel schaut, keiner wisse wirklich was geschehen wird, daher der eigene Vorschlag. Die Evaluierung der Lage sei dabei ein fester Bestandteil, das sei hier bisher zu kurz gekommen. Es sei wichtig, ständig informiert zu werden, zu wissen, was Sache ist, dann ordentlich entscheiden könne. Er wolle auf Janosch Dahmen und Paula Piechotta eingehen und deren Vorwurf irgendjemandem etwas mitzugeben und parteipolitisch zu handeln. Das Gruppenantragsverfahren sei doch nur aus der Not heraus geboren, „weil Sie sich nicht einig sind“. Wenn man über Focus online höre, dass Olaf Scholz Annalena Baerbock auffordert, das NATO-Treffen zu verlassen und zurückzukommen zur Abstimmung, dann wisse man doch wie die Lage sei. Nach zwei Zwischenfragen, die er beantwortet, schließt Erich Ilstorfer mit: Die Debatteheute ist zu spät. Impfregister ist nötig, er wünscht sich Debatte um Ausnahmeregelungen, auch für psychische Situationen, es gebe Angst, viele Gruppierungen seien gar nicht berücksichtigt, z.B. weil Impfschäden in der Familie seien und man deswegen Angst habe. Wir kennen weder den Virus für den Herbst und haben noch keinen Impfstoff, weil wir das Virus nicht kennen. Man müsse mit Weitblick und Augenmaß handeln und Leben schützen.  

Katrin Henning-Plahr, FDP für die Gruppe Baehrens: Angst ist ein schlechter Ratgeber, man darf auch von Coronaleugnern sich keine Angst machen lassen. Man werde bei gefährlicherer Variante Weihnachten wieder Probleme haben. Wenn man das Risiko nicht eingehen will dann muss man zustimmen, dies sei das einzige Konzept gegen einen weiteren Pandemiewinter. Der Vorschlag sei das Ergebnis ehrlichen Ringens um die beste Lösung. „Ducken Sie sich nicht weg, auch bei Gegenwind, fassen Sie den Mut ihrem Gewissen zu folgen …“

Sarah Wagenknecht, Die Linke, für die Gruppe Kubicki: Halten wir fest: Impfstoffe schützen nicht vor Infektion selbst und fremd, Omicron ist mild, wir haben keine Ahnung, wie Impfung gegen zukünftiges schützt, keine Ahnung bzgl. neuer Varianten – wir haben einen kopflosen Gesundheitsminister, er hat sich durch erratisches Agieren längst unmöglich gemacht, wir sind deutsche Geisterfahrer gegen den Rest der Welt: das kann nicht Ihr Ernst sein, hören Sie auf, die Menschen zu bevormunden, Impfung muss persönliche Entscheidung bleiben!

Franziska Mascheck, SPD, für die Gruppe Baehrens: Wir erleben Selbstbefassung, manche hier sind nicht des Lesens mächtig. Sie ist Mutter von vier Kinder, zwei Jahre „flatten the curve“, dankt allen Pflegern, ohne die Maßnahmen hätten wir das alles nicht geschafft. Einschränkungen müssen aber ein Ende haben, haben jetzt die Mittel in der Hand: Impfung, und da nicht alle die nutzen, seien wir jetzt hier. Sie dankt Karl Lauterbach und Olaf Scholz, dass die diese Frage in die Hände des Parlaments gelegt haben, man sei jetzt in der Pflicht, das gehe an die CDU: Stimmen Sie unabhängig ab vom Parteibuch ab. Geimpfte haben mildere Verläufe – nachweislich – oder erkranken vielleicht gar nicht mehr, das schützt uns vor Überlastung. Auch die persönliche Freiheit ist ein hohes Gut, genau darum zunächst eine Beratungsnachweispflicht. Besonders vulnerable Gruppen müssen aber müssen.

Sepp Müller (CDU/CSU): Viele von uns eint das Ziel, keine Überlastung zu haben. Er appelliere an Unentschlossene aus Ampel, sich dem Unionsantrag anzuschließen. Der sei Vorsorge durch das Impfregister, dann könne man Menschen anschreiben und informieren, es gäbe einen regelmäßigen Bericht des Gesundheitsministers und natürlich würde man die Impfpflicht scharf schalten, wenn eine gefährlichere Variante kommt. Eine Zwischenfrage von Janosch Dahmen (B´90/Grüne, redet als einziger mit Maske am Platz) lässt er zu, dieser: Sei es Sepp Müller bekannt, dass es ein Gesetz braucht damit Regeln gelten, und es nicht reicht, einfach einen Antrag beschließen? Sei ihm bekannt, dass die inhaltlichen Forderungen enthalten sind? Was hindert Sie an Unterstützung von unserem Antrag? Vorsorge ist doch Handeln bevor es brennt.

Als Antwort dazu Sepp Müller: Dies gibt ihm Möglichkeit, auf die Unterschiede einzugehen. An Janosch Dahmen gewandt: Sie haben sich Gesprächen verwehrt, es wäre schön, wenn Sie auch die Antwort hören: 1.) Beratungspflicht über Nacht von 18 auf 50 auf 60 erhöht, während die Finanzierung für Impfzentren der Länder gestrichen wird – wo sollen die das dann machen? Es sei nicht umsetzbar, sagen die Krankenkassen und kommunalen Spitzenverbände 2) Impfpflicht heute beschließen, ab 60, dann 18-59 nachziehen: das unterscheidet uns, denn: sie selbst sehen das weder als verhältnismäßig noch als geeignet noch als angemessen. Eine aktuelle Überlastung in Kliniken sei durch infiziertes, geimpftes Personal verursacht– der aktuelle Impfstoff funktioniert also nicht.

Eine weitere Zwischenfrage von Rolf Mützenich, SPD, lässt er ebenfalls zu, dieser:Es sei nicht wahr, dass man sich gegenüber Gesprächsangeboten verwehrt habe, man habe mehrere Gespräche zwischen einzelnen Abgeordneten „u.a. mit Ihnen“ geführt, nachdem die Ministerpräsidenten zweimal um Impfpflicht gebeten haben, da hat er auch Gespräch mit Union gesucht. Er habe Kriterien gesucht für einen Weg des Gemeinsamen – können Sie das bitte richtigstellen ?

Als Antwort dazu Sepp Müller: Ein sehr schräges Bild, das Sie zeichnen, und: wir hatten Verschwiegenheit vereinbart, ja er war Verhandlungsführer, und dann, um 11:19 am Vormittag: Ihr Fraktionsführer hat eine E-mail an alle geschickt, ohne uns vorher zu informieren, so geht das nicht. Es ist ein verzerrtes Bild, wenn Sie behaupten, dass die Ministerpräsidenten die Impfpflicht mehrfach gefordert haben und Sie alles andere nicht erwähnen. Es sei ein kommunikatives Desaster gewesen, inkl. der Thematik um Karl Lauterbach und die Isolationspflichten. „Diese Ampel ist in der Pandemiepolitik fertig.“

Eine weitere Zwischenfrage lässt er nicht zu und fährt fort: Deswegen ringen wir weiter um den richtigen Weg. Er wolle werben für eigenen Antrag: Karl Lauterbach habe am 2.1.2022 in der Sonntagszeitung und am 13.1.2022 im Parlament geworben, dass Erstimpfung vor tödlichem Verlauf schütze. Wenn das also so ist, dann wird Erstimpfung reichen im Herbst: dies sei geeignet, angemessen, verhältnismäßig. Viele wollen heute die Debatte abschließen, wenn das aber heute nicht der Fall ist: Es wird uns nicht davon abhalten, wenn der Rauch verschwunden ist, das geht gerne ab morgen weiter, zu besprechen, wie man sich schützen kann.

Stefan Schwartze, SPD, für die Gruppe Baehrens: Er würde lieber über die Sache reden als wer mit wem wann gesprochen hat. Er wollte Impfpflicht ab 18 beschließen, das hatte keine Mehrheit, daher wirbt er für ab 60, dies sei die jetzt bestmögliche Vorsorge für den nächsten Winter. Man müsse die Überlastung vermeiden, die gibt es, weil Personal erkrankt war. Man müsse die Perspektive von Patienten einnehmen, die benötigte Operationen verschoben haben, auch will er die Long Covid Leidenden im Blick haben.

Johannes Huber, parteilos: Nur das Fremdschutzargument wäre relevant, dies ist aber nicht gegeben. Omicron zeigt, dass nach wenigen Wochen die Impfung keinen Effekt mehr habe auf Schutz vor Infektion, die Impfung erhöhe das Risiko sogar. Es gebe mildere Mittel, nämlich Medikamente, zudem keine Überlastung der Intensivstationen, nur 9,5% davon seien im Mittel durch Covid belegt gewesen. Nebenwirkungen seien gegeben. Auch ein Gesetz auf Vorrat mache keinen Sinn, das wäre verfassungswidrig. Sein Vorschlag: die einrichtungsbezogene Impfpflicht aufzuheben und Soldaten frei von jeglicher Impfpflicht zu stellen

Nina Stahr, B’90/Grüne für die Gruppe Baehrens: Es sei uns gegönnt, die neue Normalität jetzt zu genießen, aber nicht jeder könne das, Beispiel aus Berlin: „Lara“, 8 Jahre, mit spina bifida geboren, fragil, sie darf kein Corona bekommen, für diese Familie gilt jetzt keine Normalität. Aber auch für Lara gelte das Recht auf Freiheit. Eine Zwischenfrage aus der FDP lässt sie zu, inhaltlich: Wie soll Ihr Vorschlag administriert werden? Wie soll das technisch umgesetzt werden? Ihr Wahlkreis ist ja in Berlin, da dauert die Administration besonders lange, wie sorgen sie für die Umsetzung? Als Antwort dazu Nina Stahr: Sie war vorher Berliner Landesvorsitzende der Grünen, man arbeitet toll mit den Linken zusammen, habe tolle Fortschritte gemacht. Ihren Beitrag schließt sie wie folgt ab: Siewollte Impfpflicht ab 18 mit Blick auf die Gefährdeten, aber der Kompromiss bringe das Infektionsgeschehen runter. Sie appelliert an die Union wegen Kinder wie Lara: „Lassen Sie für diese Familien ihre Parteispielchen beiseite“!

Dieter Janecek, B’90/Grüne für die Gruppe Baehrens: Der heutige Tag könnte eine Sternstunde werden, wenn die Abstimmung als Gewissensentscheidung erfolgt. Er glaubt nicht, dass 197 Abgeordnete alle die gleiche Position haben, unterschieden von acht Ministerpräsidenten der Unions: „Geben Sie die Abstimmung frei!“ Über 90% der Intensivpatienten seien über 60, die aktuelle Impfquote reiche nicht, Kinder und Jugendliche dürften nicht wegen mangelnder Impfquote bei Älteren eingeschränkt sein.

Heike Baehrens, SPD, für die Gruppe Baehrens: Jetzt gelte es, Farbe zu bekennen. Sie liefert sich ein Hin und Her mit Tino Sorge, der eine Zwischenfrage stellt, bzgl. der jeweiligen Gesprächsbereitschaft, Tino Sorge habe offenbar nicht mal den Antrag gelesen

Till Steffen, B’90/Grüne für die Gruppe Baehrens: „Die Leute haben die Schnauze voll von Lock-down, wollen da raus.“ Man könne auch Gesetze beschließen, die nicht von der Regierung kommen. Eine Zwischenfrage aus der AfD lässt er nicht zu und fährt fort: Das Impfregister kommt, weil Sie es gefordert haben und wir daraus eine gesetzliche Formulierung gemacht haben. Dass Sie diesen Brief schreiben müssen zeigt, was für ein Druck in der Fraktion ist.

Nach der abgelehnten Zwischenfrage folgt die Kurzintervention von Karsten Hilse, AfD: Sie wollen heute erzwingen, dass Leute sich impfen lassen. Der Tod kann die Folge sein. Er erinnert an das Luftsicherheitsurteil des Bundesverfassungsgerichtes. Menschliches Leben könne nicht gegeneinander aufgewogen werden. Das Gesetz sei nicht nur menschenfeindlich sondern auch verfassungswidrig Als Antwort dazu Till Steffen: Verdrehungen und Falschbehauptungen werden durch Wiederholung nicht besser.

Dirk Wiese, SPD, zum Abschluss der Aussprache und für die Gruppe Baehrens: Es gelte jetzt zu entscheiden, ob die Pandemie im Herbst beherrschbar sein werde, sonst würden wieder alle schlimmen Maßnahmen kommen. Er dankt Andrew Ullmann für dessen Kompromissbereitschaft. Und ja, man habe auch immer wieder mit Kollegen von CDU/CSU gesprochen, dabei sei die CSU sehr viel konstruktiver gewesen und näher am Kompromiss als die CDU. Dort seien seit dem Tweet von Merz am Samstag morgen die Gesprächskanäle ruhig gewesen. Dieses Verhalten werde der Verantwortung nicht gerecht. „Lieber Friedrich Merz“: Ja, frei nach Müntefering, Opposition ist Mist, aber sie entbindet nicht von staatspolitischer Verantwortung. Man kann nicht sagen: heute verweigere ich mich und morgen stehe ich für Gespräche wieder bereit.

Eigentlich ist die Aussprache an dieser Stelle beendet. Da Friedrich Merz, Vorsitzender der CDU/CSU Bundestagsfraktion, aber vom letzten Redner direkt und auch zuvor bereits mehrfach angesprochen worden war, kann er eine Erklärung abgeben, von dieser Möglichkeit macht er Gebrauch: Nach Überzeugung der Mehrheit seiner Fraktion handele es sich nicht um eine Gewissensentscheidung. Wenn das jeder einzelne entscheide, dann ist das so, aber das legt dann keiner fest. Bis auf sehr wenige Ausnahmen sei man sich einig, deswegen sei von ihnen – als einziger Fraktion– ein Antrag gekommen. Er sieht sich sehr hart kritisiert, akzeptiere das, aber: Sie müssen sich deshalb so stark mit Union beschäftigen, da „die hier“ (-> er zeigt nach rechts, zur FDP) „überhaupt keine Zustimmung erwägt“. Manipulieren Sie nicht die Reihenfolge der Abstimmung – Ihr Antrag ist der am weitesten gehende!

Damit hat Friedrich Merz die thematische Überleitung geliefert, es folgt „das Wort zur Geschäftsordnung“ aus den einzelnen Parteien, zur anstehenden Abstimmung über die zwei unterschiedlichen Abstimmungsreihenfolgen. Dieses wird von den Rednern jeweils zu einem letzten rhetorischen Rundumschlag genutzt.

Thorsten Frei für die CDU/CSU: Man habe ja jetzt schon gemerkt, wo der „Hase im Pfeffer“ liegt. Die Ampel habe eben keine eigene Mehrheit, sie versuche, das zu vertuschen. Sie wolle das Verfahren torpedieren mit der nicht angemessenen Reihenfolge der Abstimmung, das sei rechtsmissbräuchlich, das lehnen sie ab. Es sei eine lange parlamentarische Tradition, immer über den weitestgehenden Antrag zuerst abzustimmen, so auch im Bundestag, es gebe praktisch keine Ausnahmen, nur in 2009, als es um die gesetzliche Regelung für die Patientenverfügung ging und man nicht wusste, was am weitestgehenden war. Diese Bundesregierung meint man braucht keine Masken, keine Isolation (zwischenzeitlich), will weismachen, dass Impfpflicht nicht der weitestgehende Antrag sei?! Die Güte der parlamentarischen Demokratie zeige sich dadurch, dass die Mehrheit auch Schranken akzeptiere. Polarisierung will man überwinden, die Ampel-Abstimmungsreihenfolge wird aber einen Makel aufdrücken, falls das Gesetz beschlossen wird, damit bestünde dann weder Rechtssicherheit noch würden sich Gräben schließen lassen.

Katja Mast für die SPD: Wer auf Andere mit dem Finger zeigt, da zeigen immer vier zurück. Hier geht es um Abstimmungsreihenfolge. Die Geschäftsordnung legt dazu nichts fest, die Verwaltung des deutschen Bundestags stellt es frei. Also jetzt einfach abstimmen, es gebe Vorbilder aus der Historie. Was Sie hier aufführen ist großes „Tam Tam“. Sie betreiben Verächtlichmachung von Parlament und Demokratie. Wie könnte man abstimmen, z.B.: nach Anzahl Unterschriften, nach Inhalt, z.B. das, was Klarheit schafft am Ende, deswegen wäre dann das eigene Gesetz am Ende, denn nur das schaffe Klarheit. Jetzt stünde aber die Reihenfolge der „Tam Tam Partei“ versus Reihenfolge zwei, der ihrige Vorschlag. Wer nicht CDU-Steigbügelhalter sein will, solle für Reihenfolge zwei stimmen.

Irene Mihalic für B‘90/Grüne: Alle mal erstmal wieder beruhigen, die Debatten zeigen, wie emotionalisiert alle sind. Aber: „Sie sind es doch, Friedrich Merz“, der mit allen Mitteln die Gewissensentscheidung der eigenen Abgeordneten blockiert, nur deswegen habe man die Geschäftsordnungsdebatte vom Zaun gebrochen. „Sie setzen Ihre Leute unter Druck“, die „sollen Impuls unterdrücken“, „was ist das für ein Demokratieverständnis ?!“ Es sei demokratisch, jetzt davon Gebrauch zu machen, die Verwaltung habe die beiden Reihenfolgen festgelegt, Artikel 38 des Grundgesetzes gelte auch für CDU / CSU

Johannes Vogel für die FDP. Er habe von Thorsten Frei im Plenum erlebt, wie heftig in rhetorische Trickkiste gegriffen wird. Das beschädige die politische Kultur. Es sei nicht so eindeutig. Dann müsse man eben abstimmen, so einfach sei es. Sie pöbeln hier herum und machen nicht ihre Hausaufgaben. Sie machen aus einer medizinethischen Debatte eine parteipolitische. Wir nennen das Parlamentarismus, die Wahl zwischen zwei Tagesordnungen, und danach entscheiden wir klug in der Sache.

Martin Sichert für die AfD: Sie machen das Tor zur Klage weit auf. Auch durch das Vorgehen im Gesundheitsausschuss gestern. Nur 10 min – als der Tagesordnungspunkt zur Impfpflicht schon drei Stunden durch war, kam weiterer Änderungsantrag, weil der von in der Früh rechtliche Mängel hatte, um 14:05 kam ein 31seitiger weitere Entwurf und um 14:15 war die Abstimmung beendet. Niemand kann so schnell Inhalte erfassen. Sie haben den Parlamentarismus ausgehebelt und wollen das im Plenum auch so machen

Jan Korte für Die Linke: Es gehe halt nicht, einer Oppositionspartei vorzuwerfen, Opposition zu machen. Alle wären jetzt nicht in dieser Lage, wenn die letzte Regierung vernünftige Coronapolitik gemacht hätte. Überlastung im Gesundheitswesen gab es schon vor Corona. Seien Sie, von der Ampel, doch auch mal ehrlich: der weitestgehende Antrag zuerst, ich halte Impfen für Menschheitsfortschritt aber Eingriff am Körper ist wohl weitergehender als ein Nicht-Eingriff. Seine Fraktion werde nicht auf Logik und ein sauberes Verfahren verzichten.

„Was für eine Farce“ heißt es in einem treffenden Kommentar von Henrike Rossbach in der Süddeutschen Zeitung am Freitag, den 08.04.2022.In der Kuriositätensammlung des bundespolitischen Betriebes könnten die Geschehnisse vom Donnerstag schon bald als Klassiker gelten“. Die Debatte im Bundestag am Donnerstag, den 07.04.2022 ist der unwürdige Abschluss eines quälenden Entscheidungsfindungsprozesses, in dem es viele Verlierer gibt, nicht zuletzt die Gesellschaft als Ganzes.

Bayern

Am Freitag, den 08.04.2022 stellt Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek die Impfpflicht für Pflegepersonal infrage. Nachdem die allgemeine Impfpflicht nun erstmal gescheitert ist, findet er es nicht „fair“, dass den Beschäftigten in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen empfindliche Konsequenzen drohen, während der Impfstatus für alle anderen im Beruf gar keine Rolle spielt. Der Freistaat werde sich bei Entscheidungen über Sanktionen gegen ungeimpfte Beschäftigte in Kliniken oder Heimen „sehr großzügig verhalten”. Im Übrigen gehe es auch um Versorgungssicherheit, das Thema dürfe man nicht vernachlässigen“.https://www.sueddeutsche.de/bayern/bayern-holetschek-impfpflicht-pflegepersonal-1.5563332

Laut aktuellen Zahlen sind in Bayern ca. 30.000 Mitarbeiter im Gesundheitswesen nicht geimpft. Ob sie die Fairness und Großzügigkeit erkennen können? Gebraucht werden sie jedenfalls, das ist klar.https://www.welt.de/politik/deutschland/article238074997/Trotz-Impfpflicht-Mehr-als-100-000-Mitarbeiter-im-Gesundheitswesen-sind-nicht-geimpft.html Ohnehin wird bereits die Frage gestellt, ob in Bayern durch die Schließung von Kliniken die Versorgungssicherheit gefährdet wird, so BR24 am Samstag, den 09.04.2022: https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/klinik-schliessungen-kommt-nach-corona-die-versorgungskrise,T2Onzxo

Die Regeln zu Isolation und Quarantäne werden in Bayern jetzt schneller gelockert als anderswo, das Bundesland ist mal wieder „Vorreiter“. Ab Mittwoch, den 13.04.2022 entfallen die Quarantäneregeln für Kontaktpersonen, die Pflicht zur Isolation wird auf fünf Tage verkürzt, eine Freitestung ist nicht mehr notwendig, außer für Personal in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen. „Eine Corona-Infektion ist keine Privatsache!“, so der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek am Dienstag, den 12.04.2022, die Isolation für Corona-Positive sei weiter verpflichtend. Aber der Freistaat entwickle seine Corona-Strategie weiter und passe sie an die aktuelle Lage an. Eigentlich gab es einen Konsens zwischen Bund und Ländern, die Regeln zum 1.5.2022 überall anzupassen. Aber eigentlich hatte man auch auf die Pflicht zur Isolation verzichten wollen, bis dann die Kehrtwende des Gesundheitsministers kam. Insofern ist zumindest in Bayern nun Klarheit geschaffen. https://www.br.de/nachrichten/bayern/bayern-verkuerzt-corona-quarantaene-auf-fuenf-tage,T2nQi0y

  • Juristische Prozesse und Entscheidungen

Eine Impfpflicht wäre aktuell unverhältnismäßig gewesen. Das habe die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten richtig erkannt und dabei ein beruhigendes, verfassungsrechtliches Problembewusstsein bewiesen, so der Kommentar von Felix Zimmermann am Donnerstag, den 07.04.2022 auf Legal Tribune Online. Der kurze Artikel fasst zusammen, womit sich das Bundesverfassungsgericht zunächst nicht befassen muss: https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/bundestag-kommentar-allgemeine-impfpflicht-coronavirus-felix-zimmermann/

Am Dienstag, den 12.04.2022, entscheidet das Arbeitsgericht Gießen in einem Eilverfahren zugunsten eines Seniorenheims in Mittelhessen. Die Einrichtung hatte zwei Mitarbeiter ohne Gehaltsfortzahlung vom Dienst freigestellt, weil sie ungeimpft sind. Aus dem zugrundeliegenden Paragrafen des Infektionsschutzgesetzes ergebe sich jedenfalls keine Beschäftigungspflicht, bis etwa ein Gesundheitsamt über ein mögliches Betretungs- oder Tätigkeitsverbot entschieden hätte, begründete die Vorsitzende Richterin die Urteile. Diese sind noch nicht rechtskräftig, die Berufung ist möglich. Zudem laufen in den Fällen noch die Hauptverfahren. Bedauerlicherweise scheint die im Bundestag erfolgte Ablehnung der allgemeinen Impfpflicht juristisch keine Unterstützung für die von ihr in der Pflege Betroffenen mit sich zu bringen. Es läge an den Einrichtungen, jetzt „mit Augenmaß“ vorzugehen, wie zumindest vom bayerischen Gesundheitsminister angeregt wurde (s.o.) https://www.zeit.de/news/2022-04/12/gericht-pflegeheim-darf-ungeimpfte-mitarbeiter-freistellen

  • Gesellschaftliche Reaktionen

Das „Aus“ für die Impfpflicht im Bundestag führt zumindest kurzfristig noch nicht zu einer Beruhigung des Diskurses. Die bisherigen Befürworter warnen vor schlimmsten Folgen im Herbst und haben die Schuldigen bereits ausgemacht. Zudem sind sie erbost über das Hashtag #ichhabemitgemacht, in dem die bisherigen Maßnahmen- und Impfpflichtkritiker festhalten, mit welchen Aussagen die medialen Protagonisten der letzten Monate aus ihrer Sicht überzogene Maßnahmen gefordert und insbesondere die Diffamierung Ungeimpfter vorangetrieben hatten. Z.B wird, laut der Berliner Zeitung am Freitag, den 08.04.2022, unter dem Hashtag erinnert an Nikolaus Blome, der in einer Kolumne für den Spiegel geschrieben hatte: „Ich hingegen möchte an dieser Stelle ausdrücklich um gesellschaftliche Nachteile für all jene ersuchen, die freiwillig auf eine Impfung verzichten. Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen.“ Man könnte es Aufarbeitung nennen, die Wortwahl fällt aber eher auf „Menschenjagd“, und: es handele sich bei dem öffentlichen Anprangern um eine klassische Methode Rechtsradikaler. Von gesellschaftlicher Versöhnung also keine Spur. https://www.berliner-zeitung.de/news/corona-listen-hashtag-ichhabemitgemacht-sorgt-fuer-streit-li.221350

Das „Geschäft mit Corona“ war bekanntermaßen für viele äußerst lukrativ – dass es in vielen Fällen auch ein unsauberes war, liegt nahe. Das Handelsblatt weist am Montag, den 11.04.2022 auf das Ausmaß der Schäden im Zusammenhang mit Betrug bei Corona-Teststationen hin. In mindestens 642 Fällen haben Behörden wegen mutmaßlichen Betrugs Verfahren eingeleitet, laut einer Umfrage des Handelsblatts unter Staatsanwaltschaften und Landeskriminalämtern. Die Gesamtzahl dürfte aber deutlich höher sein, der Schaden lasse sich nicht annähernd beziffern. Immerhin glaubt ein Berliner Polizist, dass man „den Tätern die Goldgräberstimmung inzwischen verhagelt habe“https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/testzentren-abrechnungen-ohne-abstriche-millionen-betrug-mit-corona-tests/28242828.html?utm_source=red&utm_medium=nl&utm_campaign=hb-morningbriefingcorona&utm_content=11042022

Die lange Liste der „Kollateralschäden“ der Corona-Maßnahmen insbesondere bei den von der Krankheit an sich kaum betroffenen Kindern und Jugendlichen kann um eine weitere gesicherte Erkenntnis verlängert werden: Am Montag, den 11.04.2022 wird von Auswertungen der Krankenkassen berichtet, die klar zeigen, dass die Zahl der an einer Essstörung erkrankten Kinder und Jugendlichen während der Corona-Pandemie gestiegen ist. Die DAK-Gesundheit hat für 2020 eine Zunahme bei den Krankenhaus-Behandlungen wegen Essstörungen von 9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr festgestellt, unter den 15- bis 17-Jährigen sind es sogar 13 Prozent mehr. Die KKH kommt nach eigenen Angaben auf ein überproportionales Plus von rund sieben Prozent bei den 13- bis 18-Jährigen. Fachleute spüren die Zunahme von Erkrankungen wie Magersucht und Bulimie in ihren Einrichtungen, Therapieplätze fehlen und die Patientinnen werden jünger, teilweise sind jetzt schon 8- 9-jährige betroffen. https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/gesundheit/mehr-kinder-und-jugendliche-seit-corona-an-magersucht-erkrankt-17950672.html

Laut dem SPIEGEL am Montag, den 11.04.2022 hat – wenig überraschend – nunmehr die „Mehrheit der Deutschen“ das Vertrauen in die Coronapolitik verloren. Die Auswertungen einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey führen zu dieser Schlussfolgerung.

https://www.spiegel.de/politik/deutschland/corona-mehrheit-hat-vertrauen-in-krisenmanagement-verloren-spiegel-umfrage-a-a0578b56-d693-4a75-a2d5-56c39f0d5d78. Konkret geben fast zwei Drittel der Deutschen an, in den vergangenen Wochen Vertrauen in die Coronapolitik der Bundesregierung verloren zu haben. Nur bei etwa jedem vierten Bürger und jeder vierten Bürgerin ist der Glaube an die richtigen Entscheidungen im Umgang mit der Pandemie nicht geschwunden. Am unkritischsten sind die SPD-Wähler – bei ihnen ist der aktuelle Vertrauensschwund am geringsten und 51% von ihnen halten sogar dem Gesundheitsminister noch die Treue, sie sind mit seinem Krisenmanagement „eher/sehr zufrieden“. Selbiges scheint bemerkenswerter als die Hauptschlagzeile des Vertrauensverlustes der Mehrheit der Deutschen.

Eine andere Umfrage, über die ebenfalls am Montag, den 11.04.2022 berichtet wird, sollte tatsächlich noch zu höherer Besorgnis führen. Vom Allensbach Institut wurden in der Zeit vom 3. bis 16.02.2022 1033 Personen ab 16 Jahren „repräsentativ“ befragt. 31 Prozent der Teilnehmer äußerten die Einschätzung, in einer „Scheindemokratie“ zu leben, „in der die Bürger nichts zu sagen haben“. In Westdeutschland seien es 28 Prozent, in Ostdeutschland 45 Prozent. 28 Prozent aller Deutschen finden laut der Umfrage, dass das demokratische System in Deutschland „grundlegend geändert“ gehöre. https://www.faz.net/aktuell/fast-ein-drittel-der-deutschen-glaubt-in-einer-scheindemokratie-zu-leben-17951345.html

Nach mehr als zwei Jahren Pandemie-Betrieb in Deutschland gäbe es sozial und gesellschaftlich viel zu reparieren. Der aktuelle Kontext eines allzu nahen, grausamen Krieges, der Deutschland täglich enger in seinen Bann zu ziehen scheint, gravierender Verwerfungen in Real- und Finanzwirtschaft und den sozialen Sicherungssystemen sowie eine Zeitenwende in der geopolitischen Ordnung lässt nicht wirklich vermuten, dass diese notwendigen Reparaturen in Angriff genommen werden. Vielmehr ist zu befürchten, dass die Pandemiepolitik an sich in den nächsten Monaten – als zu erwartende Fortschreibung der Irrungen der letzten zwei Jahre – noch weitere Iterationen mit entsprechenden Kollateralschäden oder zweifelhaften Effekten liefern wird. Nach der Krise ist ohnehin vor der Krise aber im Moment sind wir leider unverändert mittendrin, wenn auch, immerhin, aktuell ohne eine allgemeine Impfpflicht in Deutschland.

ENDE