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Debattenraum: “Geld, Inflation, Eigentum, Kapitalismus, Staatsdirigismus“

Debattenraum am 29. November 2022.

Das ganze Spektrum ökonomischer Denkschulen an einem Abend – so zeigte sich der letzte „Debattenraum“ in diesem Jahr. Vertreter von libertär und freiheitlich bis sozialdemokratisch und marxistisch diskutierten miteinander auf unserem Podium. Überraschend viel Einigkeit gab es bei einer entscheidenden Frage.

Die Weltwirtschaft zeigt sich aktuell noch erstaunlich robust, trotz der multiplen Infarkte der Lieferketten, zweistelligen Inflationsraten und der Energiekrise. Viele Krisenzeichen sind aber nicht erst in den letzten zwei Jahren aufgekommen. Über Perspektiven des Wirtschaftssystems, notwendige Reformen und mögliche Alternativen diskutierten wir im zurückliegenden „Debattenraum“ mit vier Diskutanten auf dem Podium und vielen Anregungen aus dem Publikum.

Christian, Professor für Volkswirtschaftslehre und früherer Investmentbanker sieht durch die weltweit hohe Verschuldung eine schon seit 2008 unhaltbare Situation; seit der Finanzkrise jenen Jahres seien die Probleme der hohen Verbindlichkeiten mit noch mehr Schulden und Gelddrucken bekämpft worden, in der Folge gebe es „Zombie“-Unternehmen und -Staaten, die eigentlich pleite seien. „In irgendeiner Form wird es Bereinigungen geben“, sagt er. Ralf ist Geschäftsführer und Chefredakteur eines Finanzmagazins. Als Anhänger der Österreichischen Schule der Volkswirtschaft hält er „schlechtes Geld“ von Zentralbanken für die Wurzel der gegenwärtigen Übel. Eine immer weiter steigende Inflation werde die Gesellschaft zerreißen, befürchtet er.

Cluse sieht weniger den Kapitalismus als die gesamte Moderne in der Krise. Der Verfall gehe über die Ökonomie hinaus und betreffe Demokratie, Kultur, Bildung ebenso wie Medizin. Die Moderne sei eigentlich ein Geschenk der frühen Kapitalisten aus den italienischen Stadtstaaten in der Renaissance gewesen, sagt der Anthropologe, Journalist und frühere Theatermann. Jedoch sei der Kapitalismus im Lauf der Jahrhunderte immer weiter deformiert. „Deformierter Kapitalismus ist für mich wie ein weißer Schimmel“, entgegnet ihm Olaf, volkswirtschaftlich und marxistisch geschulter Naturwissenschafter. Kapitalismus neige durch das Profitmotiv zu Überakkumulation und Instabilität, was die periodischen Krisen mit Zerstörung und Wiederaufbau bedinge.

Eine pointierte Diskussion, auch mit dem Publikum, entzündete sich beim Thema Zentralbanken und Geldwesen. Für Ralf sorgen die politisch abhängigen Institute dafür, dass sich die Umverteilung von unten nach oben beschleunigt, sie begünstigten zudem Bürokratie und sorgten mit ihren Rettungsaktionen dafür, dass Vermögensbesitzer die Folgen ihrer Fehlspekulationen nicht tragen müssten: „Sozialismus für Reiche“. Das Thema führte zur Frage, ob eine Marktwirtschaft auch ohne zentralisierte Geldwirtschaft möglich ist. Christian hält dies für machbar, er plädiert für einen „Entrepreneurs-Kapitalismus“, bei dem Start-Ups, Familienunternehmen und Handwerksbetriebe prosperieren, das Gegenmodell sei „Milliardärs-Kapitalismus“ mit all seinen Folgen, wie sie jetzt kennen.

„Können wir uns darauf einigen, dass Macht durch Eigentum und Macht durch Vermögen politisch beschränkt wird?“, fragte schließlich ein Teilnehmer aus dem Publikum. Es klang mehr wie eine rhetorische Frage – denn hier waren sich die Diskutanten durchaus einig, dass solch ein Ziel erreicht werden muss. Schließlich kommen Demokratie und Freiheitsrechte als erste unter die Räder, wenn Vermachtungsprozesse in der Wirtschaft an Fahrt aufnehmen. Die Mittel, die unsere Podiumsteilnehmer vorschlagen, um die Wirtschaft zu demokratisieren, sind freilich unterschiedlich. Ralf plädiert für die Abschaffung der Zentralbanken und die Freigabe der Geldschöpfung, Cluse wirft das Stichwort der „Potlatch Economy“ (eine Form der Geschenkökonomie) ein und will aus solchen und anderen Ansätzen „eine durchdachte Alternative“ zu gescheiterten zentralistischen Systemen entwickeln. Olaf und Teilnehmer aus dem Publikum halten eine Vergesellschaftung zumindest eines Teils der Wirtschaft für unumgänglich, „man muss an die Fundamente“, sagte er, wenn acht Milliarden Menschen ernährt werden müssen und ökologische Zerstörung gestoppt werden soll.

Vielleicht sind die Reformansätze Gegenstand einer weiteren Runde im neuen Jahr. Auch die Globalisierung, die an dem Abend nur wenig Thema war, wäre eine weitere Veranstaltung wert – so das Feedback einer Teilnehmerin. Sicher ist: Gesellschaftliche Spaltungen überwinden, die Menschen aus ihren weltanschaulichen Filter-Blasen herausholen und Differenzen zu überbrücken, dies ist zumindest bei diesem Anlass gelungen.