Tür 8

Martinas Adventsgeschichte

„Mama, wir dürfen 10 Minuten atmen!“

Wo anfangen? Ganz von vorne? Ja!

Als meine heute 25 Jahre alte Tochter in der 1. Klasse, also vor rund 20 Jahren die Horterzieherin fragte: „Warum müssen wir das so machen?“, bekam sie zur Antwort:

„Weil’s die Regeln sind!“

Ich stand zufällig dabei und an diesem Tag etablierte sich in mir eine Art Alarmsystem, das schrill aufheult, jedes Mal, wenn dieses Wort „Regeln“ fiel und fällt.

Und es fiel oft! „Wir müssen uns an die Regeln halten“ hörte ich, nicht nur von den Kindern, auch die Eltern übernahmen diese Sprachregelung bereitwillig und ich fragte mich damals, wie diese Gesellschaft wohl in 20 Jahren ticken würde. Nun wissen wir es!

Ich habe versucht dagegen zu steuern, habe meinen Kindern beigebracht, nach Werten zu leben, nicht nach Regeln, denn wenn man nach Regeln lebt, macht man sich von denen abhängig, die die Regeln aufstellen. Selber denken! Sie tun das, das ist die positive Nachricht!

Als am 13. März 2020 die Schulen geschlossen wurden und ich darüber schockiert war, fragte mich eine Mutter, ob ich denn keine Angst hätte. Ich sagte, doch, ich habe große Angst davor, wie wir gesteuert und manipuliert werden. Sie setzte mir das überlastete Gesundheitssystem und natürlich die Bilder von Bergamo entgegen…

Ok, dachte ich, ich kannte sie nicht so gut, war ja die 1. Klasse!

Und es drängte mich, heimzukommen und meine wichtigsten Freunde und die Familie anzurufen mit der vermeintlichen Gewissheit, sie würden das alle genau so sehen wie ich.

Von „Das ist schon richtig, was die machen“ über „Jetzt hoffen wir halt, dass möglichst schnell ein Impfstoff kommt“ bis „Die sollten noch viel härtere Maßnahmen ergreifen“ war alles dabei. Der auch, der auch, die auch, die auch….

Meine fast 50 Jahre waren in ein, zwei Tagen über den Haufen geworfen… so fühlte sich das an.

Gott sei Dank nicht meine erwachsenen Kinder samt ihrem Vater und zwei meiner besten Freunde – wie dankbar ich ihnen dafür bin, wissen sie wahrscheinlich nicht.

Am 22. März 20 hatte meine kleine Tochter ihren 7. Geburtstag. Sie hatte 8 Kinder eingeladen und schnell war klar, dass die geplante Party nicht stattfinden würde. Alle haben abgesagt. Ich schlug vor, sie könnten sich doch wenigstens draußen am Gehweg einen Kuchen abholen und kurz „Hallo“ sagen. Keiner reagierte darauf. Keiner kam.

Dafür bekam ich von einer Mutter noch die Nachricht weitergeleitet, wir sollen alle um 21.00h aus dem Fenster klatschen für’s Pflegepersonal.

Wut, Zorn, Ohnmacht, Hilflosigkeit, Fassungslosigkeit, der deutsche Wortschatz hält eine Menge Vokabular bereit… welches passt, und doch nicht beschreibt, was da wirklich in einem vorging.

Immerhin – dachte ich, ich habe den richtigen Beruf. Ich arbeite als Autorin und Regisseurin in der Münchener Kleinkunstszene. Da sind viele gute Leute und nach dem ersten Schock werden wir alle gemeinsam dem Ganzen etwas entgegensetzen!

Ich brauche hier glaub ich nicht erzählen, wie es ausgegangen ist. Mit ein paar Ausnahmen, man kann sie – tatsächlich- an einer Hand abzählen.

Die angewandte Salamitechnik hat in beide Richtungen funktioniert. Tag für Tag kamen neue Absurditäten, die von den einen scheibchenweise unhinterfragt akzeptiert oder befürwortet wurden und uns anderen Schicht für Schicht den Boden unter den Füßen wegzogen, auf dem wir so sicher zu stehen glaubten.

Immerhin gab es den kleinen Kreis, der im Laufe der nächsten Monate größer wurde, der verbotenerweise in meiner Küche jeden Freitag zusammenkam und die Gewissheit, nicht allein zu sein, war entscheidend, um nicht völlig zu verzweifeln.

Wir sollten nicht vergessen, dass sich sowohl meine aushäusig wohnenden Kinder als auch die engsten Freunde heimlich bei mir einfinden mussten, wir hinter verschlossenen Rollos am Tisch saßen, damit niemand durch’s Fenster uns sieht, dieselben heimlich zu unerlaubter Zeit wieder nach Hause gingen, und wir es als Glück empfanden, dass keiner unserer Nachbarn uns verpfiffen hat! Wohlgemerkt: Es handelte sich um gemeinsame Abendessen im engsten Kreise.

Im späten Frühjahr 20 war ich mit meinem Sohn zum ersten Mal auf der Freiheitsversammlung. Für mich eine Offenbarung. Endlich! Kluge, sympathische Leute, die sich in die Öffentlichkeit trauen. Und jetzt das sichere Gefühl, nicht allein zu sein! Danke!

In dieser Zeit begann das was ich als „Doppelleben“ bezeichne. Soviel man diskutiert, gestritten, geschrien und geweint hatte in diesen Monaten, jeder blieb mehr oder weniger bei seiner Anfangsposition und man fing an, „das Thema“ in bestimmten Kreisen zu vermeiden.

So aufgehoben ich mich bei den einen fühlte, das andere Leben ging seinen Gang und man kam ihm nicht aus.

„Ich werde niemals mein Kind mit einer Maske in die Schule schicken“ tönte es entschlossen und zornig aus mir raus. Und als die Maskenpflicht kam, ließ ich meine Tochter krankschreiben. Ich kann sie daheim unterrichten, weil ich eh nicht arbeiten darf, schließlich hatten wir schon Monate mit Homeschooling hinter uns.

Aber das Kind wollte nicht. Sie wollte in die Schule gehen, wie die anderen auch und sie wollte die Maske tragen, sie fand sie unangenehm, wollte aber nicht auffallen, zumal ich, wie mir die Lehrerin bestätigte, die einzige Mutter in der Klasse war, die überhaupt ein Problem damit hatte. Ich habe nachgegeben. Und fühlte mich schrecklich dabei.

Das als Beispiel für die unglaubliche Flut an üblen Kompromissen, die man in der ganzen Zeit seither eingehen musste.

Im Privaten ähnlich. Nach anfänglich vollkommener Verstörung meinerseits stellte ich zunehmend fest, dass „die anderen“ mir meine Position viel weniger übelnahmen, als ich ihnen ihre. Für sie war ich die Gleiche geblieben, nur „mit Corona spinnt sie halt!“ Nicht weiter tragisch. Sie empfanden das gar nicht als großen Graben zwischen uns. Wahrscheinlich weil sie sich auf der „guten“ Seite wähnten und sozusagen weltweit bestätigt wurden. Sie hatten keinen Kampf zu führen und manchmal beneidete ich sie.

Hin und wieder wurde mir nahegelegt, ich solle mal meine Comfortzone überdenken und man müsse halt auch mal auf seine Gewohnheiten verzichten können, wenn es die Umstände erfordern und ich fand mich in der Rolle der verwöhnten Luxusbiene wieder, die auf nichts verzichten kann. Das tat weh und ging schwer an meinen Anliegen vorbei.

Dennoch, ich musste für mich lernen, dass ich mich getäuscht hatte. Dass ich erwartet hatte, dass „wir“ gleich ticken. Und dass ich damit umgehen muss, dass dem nicht so ist.

Ich glaube, das war der Knackpunkt, dass nicht viel mehr zerbrochen ist.

Die „erlösende“ Impfung war ein neuer oder DER Tiefpunkt. Wo es vorher noch um gesellschaftliche, politische Themen ging, kamen bei mir die Angst und eine unglaubliche Trauer, weil wir ja schon wussten, was es damit auf sich hat. Keinen einzigen der Überzeugten konnte ich davon abhalten. Die Schäden sind da und traurig, aber keiner der Betroffenen sieht den Zusammenhang und ich trau mich nicht einmal, was zu sagen, weil es eh zu spät ist und weil ich weiß, sie würden nicht die Impfung, sondern mich für verrückt erklären.

Ein lieber Menschen, der (meiner Meinung nach) daran verstorben ist, wollte mich noch ein letztes Mal sehen. Ich durfte nicht hinein in die Palliativstation – eine Corona- Vorsichtsmaßnahme! Das ist jetzt 3 Wochen her!!!

Ein Psychologe hat mir mal erklärt, dass das menschliche Hirn mit sog. „geschlossenen Gestalten“ arbeitet, d.h. es kann Dinge erst abschließen und weglegen, wenn es ein Phänomen verstanden und zu einem schlüssigen Ende gedacht und gebracht hat.

Solange das nicht der Fall ist, arbeitet es sich auf und findet keine Ruhe mit dem Thema.

Ich schließe daraus, dass es eine Lebensaufgabe sein wird, zumal es ja nicht „vorbei“ ist, sondern nur ein Wegbereiter war.

Zum Schluss die Überschrift: Meine kleine Tochter kam eines Tages glücklich, fast euphorisch aus der Schule gerannt und sagte: „Mama, wenn wir 1,50m Abstand halten, können wir ab morgen im Pausenhof die Masken abnehmen und dürfen 10 Minuten atmen!“

Eure Martina